Deborah Hartmann bemüht sich um die Opfersicht der Shoah-Überlebenden – und schulte ihr Urteil an den Schriften Jean Amérys.

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Als pädagogische Mitarbeiterin von Yad Vashem erhielt Deborah Hartmann 2018 hohen Besuch aus der Heimat. Eine Abordnung der österreichischen Bundesregierung erschien in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte, angeführt von Bundeskanzler Kurz. Als die gebürtige Wienerin im "Tal der Gemeinden" gefragt wurde, ob sie FPÖ-Mandatsträger willkommen heiße, verneinte sie. Ein Nachsatz ließ jedoch aufhorchen: Als Pädagogin müsse sie an die grundsätzliche Lernfähigkeit der Menschen glauben.

Seit 1. Dezember 2020 leitet die Politologin das Berliner "Haus der Wannsee-Konferenz", eine zentrale Bildungseinrichtung. Hier fand am 20. Jänner 1942 jene Sitzung statt, in der NS-Chargen die sogenannte "Endlösung der Judenfrage" als Verwaltungsaufgabe diskutierten: ein Fanal in der Anbahnung der Vernichtungspolitik. Zwei Millionen Menschen statten der Gedenkstätte jährlich ihren Besuch ab. Aus Anlass ihrer Bestellung versprach Hartmann, sich um "stetiges Wachstum" des Hauses bemühen zu wollen.

Die Beantwortung der Frage, wie das Gedächtnis des Holocausts am wirksamsten wachzuhalten sei, gehört seit jeher zu den Lebensaufgaben Hartmanns – umso brisanter in einer Phase, in der manche Covid-Maßnahmenkritiker die Berührung mit Antisemiten keineswegs scheuen.

Wider den Ungeist

Die heute 37-Jährige schrieb bereits als Schülerin in Wien eine Facharbeit über Taras Borodajkewycz, der lange nach Kriegsende in Hörsälen der Uni Wien antijüdischen Unflat verbreitete. Studien in Wien und an der FU Berlin schloss sie 2012 mit einer Arbeit zur Erinnerungskultur ab. Das von ihr beschriebene Dilemma meint die Herstellung eines Verhältnisses: zwischen universellem Gedächtnis und partikularer Opfersicht.

Für Vad Yashem war Deborah Hartmann als deutschsprachige Vertreterin unterwegs. Sie arbeitete für das "American Jewish Committee" und erlernte im Berliner Center für Digitale Systeme pädagogische Vermittlung. Ein zweiter Blick auf Hartmanns Publikationswerk offenbart ihren gedanklichen Umraum: Die Frage nach der subjektiven Verfassung von Shoah-Überlebenden hat Hartmann an den Schriften von Jean Améry geschärft.

Das Berliner Haus der Wannsee-Konferenz soll künftig ein modernisierter Resonanzort sein. Die Vermittlung dessen, was der Zivilisationsbruch für die Nachgeborenen bedeutet, erscheint – 80 Jahre nach der fatalen Konferenz – notwendiger denn je. (Ronald Pohl, 20.1.2022)