"Endsieger sind dennoch wir": Das Künstlerhaus in Wien hat sich im Rahmen der Ausstellung "Dispossession", die gerade zu Ende ging, mit seiner Vergangenheit befasst.

Foto: Sophie Lillie und Arye Wachsmuth

Im Jahr 1961 feierte das Künstlerhaus sein 100-jähriges Bestehen mit einer Jubiläumsausstellung, in der ein Saal dem Gedenken an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs gewidmet war. Die eigens entworfene "Heldentafel" lieferte Otto Hurm. An Referenzen hatte der Hochschulprofessor für ornamentale Schrift und Heraldik nicht nur seine ehemalige NSDAP-Parteimitgliedschaft, sondern ein Portfolio an Prestigeprojekten aus dem Austrofaschismus und der NS-Zeit vorzuweisen.

Die Ausstellungsdokumentation spricht von einer aus Kupfer getriebenen Tafel mit der Inschrift "Unseren Opfern des Zweiten Weltkrieges". Die Tafel selbst galt als verschollen. Als man sie nach langen Recherchen schließlich im August 2021 auffand, zeigte sich, dass die Geschichtsschreibung ein wesentliches Detail unterschlagen hatte. Die Tafel beklagte nicht namenlose Opfer, sondern drei Wehrmachtssoldaten: den 1945 gefallenen Architekten Werner Theiss sowie die Künstler Otto Fenzl und Ernst Müller, die nicht an der Front, sondern in Kriegsgefangenschaft verstorben waren.

Darüber hinaus fand die NS-Ära in der Jubiläumsausstellung keinerlei Erwähnung. Die im Begleitkatalog publizierte Chronik des Hauses setzte originellerweise im Jahr 1952 ein. Einzelne Werke von vertriebenen Künstlern wie Wilhelm Viktor Krausz und Josef Heu mischte man unter die zeitlich weit gefassten Abteilungen Malerei und Plastik 1918–1945. Eine Anerkennung der ermordeten Mitglieder – wie etwa des 1942 in Theresienstadt ums Leben gekommenen Malers Heinrich Rauchinger – erfolgte nicht.

Opfer-Täter-Umkehr

Opfer auf Kriegsopfer zu beschränken entsprach 1961 dem gesellschaftlichen Grundkonsens. Für die Mehrheit der Bevölkerung galt Österreich als erstes Opfer des Nationalsozialismus, das für dessen Verbrechen nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte. Um sich selbst als Opfer darstellen zu können, musste Österreich die wahren NS-Opfer ausblenden. Die Rehabilitation ehemaliger Parteimitglieder, deren Wiedererlangen des Wahlrechts und schließlich die Amnestierung von Kriegsverbrechern im Vorfeld des Staatsvertrags ebneten die Rückkehr zum Alltag.

Im Jahr 1961 feierte das Künstlerhaus sein 100-jähriges Bestehen mit einer Jubiläumsausstellung, in der ein Saal dem Gedenken an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs gewidmet war.
Foto: Sophie Lillie und Arye Wachsmuth

Das Künstlerhaus hatte es damit nach Kriegsende besonders eilig: Bereits 1946 plädierte man für die rasche Aufhebung des Berufsverbots ehemaliger Illegaler, da deren Ausschluss einen "unerhörten Verlust" für das Haus darstelle. Rudolf Hermann Eisenmenger, Künstlerhaus-Präsident von 1939 bis 1945, nahm man 1947 wieder als Mitglied auf.

Sein endgültiges Comeback feierte er 1949 mit der Gestaltung des Künstlerhaus-Kinos, 1951 folgte eine Professur an der Technischen Hochschule Wien. Die Staatsoper betraute Eisenmenger in den 1950er-Jahren mit der Ausstattung des Gustav-Mahler-Saals und mit dem Eisernen Vorhang, dem die "Kraft-durch-Freude-Romantik" seiner früheren Monumentalwerke durchaus noch anhaftete.

Zu den besonders prestigereichen Aufträgen im öffentlichen Raum gehörte 1961 Eisenmengers Uhr am Nordportal des Wiener Stephansdoms; Kollege Hurm errichtete 1963 für die dortige Eligiuskapelle sein acht Meter hohes "Pfingstfenster".

Bei null anfangen

Derartig bruchlose Karrieren blieben NS-verfolgten Künstlern verwehrt. Für den Kommunisten und Juden Heinrich Sussmann bedeutete die Flucht quer durch Europa nicht nur den Verlust seines halben Lebenswerks. Im Grunde genommen hätten ihm die Nationalsozialisten Jahre seines Lebens gestohlen, resümierte Sussmann.

Im besetzten Frankreich beschränkte sich seine künstlerische Arbeit auf das Fälschen von Ausweispapieren, wodurch er gesuchten Mitgliedern der Résistance zu neuer, überlebenswichtiger Identität verhalf. Zeugnis von seiner Verhaftung und Deportation gibt der Bildzyklus Ich erinnere mich wieder an Auschwitz, den Sussmann 1961– just als das Künstlerhaus seiner Soldatenopfer gedachte – publizierte.

Als Sussmann Ende 1945 nach Wien zurückkehrte, hieß es für ihn, mit über 40 Jahren bei null anfangen. Sussmanns Kind und beide Eltern waren tot, der Familienbesitz war enteignet. Von den ehemaligen Genossen und Genossinnen hatten nur wenige überlebt. An seine Vorkriegskarriere anzuschließen war unmöglich. Anders erging es den nicht verfolgten Künstlerkollegen, die im besten Fall über Wohnung und Atelier, ein intaktes Netzwerk von Verwandten und Freunden, einen Bestand verkäuflicher Arbeiten oder gar einen Lehrauftrag verfügten.

Ähnliche Hürden wie Sussmann stellten sich dem bereits 1933 nach Palästina ausgewanderten Allroundkünstler Willy Verkauf, genannt André Verlon, der 1946 nach Wien zurückkehrte. Weitere Weggefährten waren Hans Escher, der viele Kriegsjahre in Nordafrika, zuletzt als Korporal der britischen Armee, stationiert gewesen war, und Carry Hauser, der 1947 aus der Schweiz in seine Geburtsstadt zurückkehrte.

Diese von der Mehrheitsgesellschaft divergierenden Lebenswege fanden 1980 in der Belvedere-Kollektivausstellung Die uns verließen eine erste Anerkennung – wobei deren Titel fälschlich suggerierte, dass ihr Exil ein freiwilliges gewesen sei.

Die Waldheim-Ära

Im Jahr 1985, im Rahmen der Ausstellung Traum und Wirklichkeit, ehrte das Künstlerhaus Namen wie Arnold Schönberg und Gustav Mahler, ohne die Vertreibung ihrer Familien zu thematisieren. Bezeichnenderweise behandelte die Ausstellung nur die Jahre 1870 bis 1930, wodurch man die Reizthemen Nationalsozialismus und Austrofaschismus umschiffte. Als Werbeträger wählte man Sigmund Freud, dessen Konterfei man peinlicherweise aus einem Foto von 1938, auf der Flucht aus Wien, herausgeschnitten hatte, und Gustav Klimts Adele Bloch-Bauer, ein in der NS-Ära entzogenes Bild.

Vor dem signalgelben Hintergrund von Kurt Waldheims Präsidentschaftswahlkampf war dies bemerkenswert. Verkauf-Verlon protestierte wortkräftig dagegen, dass Österreich sein ramponiertes internationales Ansehen durch die Vereinnahmung Vertriebener zu verbessern versuche. Sein Vorschlag, das Künstlerhaus möge eine Gedenkausstellung für die 1938 ausgeschlossenen Mitglieder organisieren, wurde abgeschmettert: Man wähnte eine Sonderstellung jüdischer Opfer auf Kosten von Kriegshelden und Bombenopfern.

Kompromiss

"Das Künstlerhaus war keine Gestapo-Dienststelle", heißt es in einer internen Rechtfertigung; man habe "keine Transporte nach Auschwitz organisiert". Nicht erkannt wurde die institutionelle Verantwortung der Künstlervereinigung im Kontext des Unrechtsstaates – sei es durch den Ausschluss "nicht arischer" Künstler, sei es durch die Zurschaustellung von Kunstwerken aus enteignetem Besitz oder die Beteiligung an Propaganda-Ausstellungen wie Entartete Kunst (1939).

Durchsetzen konnte sich Verkauf-Verlon lediglich mit der Stiftung einer Gedenktafel: Anlässlich der posthumen Heinrich-Sussmann-Ausstellung Endsieger blieb dennoch ich kam es Ende 1988 zu deren Enthüllung. Dass diese zeitlich mit dem 50-jährigen Gedenken an das Novemberpogrom zusammenfiel, ist zweifellos auch als Erfolg Verkauf-Verlons zu verbuchen.

Der Text auf der Gedenktafel ist ein Kompromiss.
Foto: Sophie Lillie und Arye Wachsmuth

Um das Projekt zu realisieren, war aber ein Kompromiss nötig: Nach langen Debatten hatte man sich auf einen Text geeinigt, der die "aus rassistischen und politischen Gründen verfolgten" sowie die "im Zuge der Kriegsereignisse ums Leben gekommenen Mitglieder" gleichermaßen würdigte. Genau diese Ambivalenz aber ließ letztlich alle – den KZ-Häftling wie den Frontsoldaten – als Opfer erscheinen. Nur die Tafelgestaltung selbst rang dem Hauschronisten ein Lob ab: Sie wirke nicht aufdringlich.

Gedenken heute

Unauffälligkeit darf kein Kriterium mehr für die Erinnerung an die NS-Vergangenheit sein, die im Gegenteil stören und verstören muss. In ihrer jetzigen Form gibt die Gedenktafel nur vor, an die Opfer zu erinnern; viel eher gibt sie das zu Erinnernde dem Vergessen preis. Seit Umbau und Wiedereröffnung des Künstlerhauses im März 2020 wird die Tafel zudem von einer Werbefläche überschattet und nachts von Spots überstrahlt.

Wie könnte die Künstlervereinigung nun eine zeitgemäße Geste gegenüber seinen vertriebenen und ermordeten Mitgliedern setzen? Um ihr Bekenntnis zur Geschichtsaufarbeitung glaubhaft umzusetzen, müsste sie sich auch den Nationalsozialisten aus den eigenen Reihen stellen. So zum Beispiel Leopold Blauensteiner, betont deutschnationaler "Alter Kämpfer", der als Leiter der Reichskulturkammer die NS-Kunstpolitik maßgeblich mitgestaltete.

Eine kritische Auseinandersetzung gebührt ebenfalls dem "Vorkämpfer der deutschen Schrift" Otto Hurm, der als sogenannter Minderbelasteter bereits 1945 an die Akademie für bildende Kunst zurückkehren konnte. Oder eben Ex-Präsident Eisenmenger, umjubelter Star der Nazikunstszene, dessen Einfluss als Lehrender bis 1972 sich weit in die nächste Generation erstreckte. (Sophie Lillie, Arye Wachsmuth, ALBUM, 23.1.2022)