"Lange Wartezeiten"

Jamal Hachem von Affine Records

Die Frage "Wie geht es euch als Label in der Pandemie?" kam in den letzten zwei Jahren immer wieder. Nun, der eine kommt besser mit der Isolation zurecht und spult Kilometer um Kilometer im Studio ab, dem anderen fehlt ein soziokulturelles Umfeld mit all seinen Inspirationen und hat wochenlange Schreibblockaden, wieder ein anderer kommt mit den staatlichen Kompensationen irgendwie über die Runden.

Es gibt aber einen klaren gemeinsamen Nenner, und das sind fehlende Einnahmen durch Konzerte und somit ausfallende Tantiemen und DJ-Gigs. Die Planungssicherheit ist komplett weg. Das belastet. Die persönliche Perspektive fährt unentwegt Achterbahn. Als Label-Operator bin ich mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, die durch die Pandemie verstärkt wurden.

Jamal Hachem betreibt seit 14 Jahren Affine Records.
Foto: Clemens Radauer

Angefangen bei der schwieriger werdenden Generierung von Öffentlichkeit durch aussterbenden Musikjournalismus, den toxischen Dynamiken eines ausufernden Plattformkapitalismus bis hin zu massiven Schieflagen innerhalb der Streamingökonomie, steigenden Rohstoff- und Energiepreisen im Vinylsektor sowie gestörten Lieferketten, die dazu führen, dass Wartezeiten auf das fertige Produkt bis zu neun Monate betragen können.

Doch es geht immer weiter, und sich ranhalten war immer "part of our game". Daher veröffentlichen wir im kommenden Halbjahr ein neues Album von Zanshin und das Debütalbum unseres Neuzugangs Kenji Araki.

Dabei versuchen wir so gut wie möglich durch den dichten Dschungel zu navigieren. Für das große Ganze besteht die Hoffnung, dass strukturelle Probleme durch einen neuen Kollektivismus angegangen werden. Erste Schritte in diese Richtung sind bereits sichtbar.

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"Corona ist wie eine Lupe"

Anne Eck von Silvertree Records

Es waren zwei herausfordernde Jahre! Releases hatten sich verzögert, und die Planung ist ja immer gekoppelt an Konzerte. Das alles konnte man nicht planen, und wenn, dann wurde es meist verschoben. Durch den Wegfall vieler Veranstaltungen wurden die Veröffentlichungen und deren Präsentation fast gänzlich in den digitalen Raum verlagert. Wie auch die Einnahmen selbst. Weg von Live hin zu den Streaming-Diensten. Dass dabei halt weder die eigenen CDs noch Alben verkauft werden können, ist die eine Sache. Die andere ist die Verteilung und der Verdienst mit Streaming selbst, das ist alles andere als gerecht.

Das ist keine Überraschung, die erst mit Corona kam. Ich finde, dass Corona wie eine Lupe agiert und vorhandene Schwachstellen rigoros sichtbar gemacht hat. Von der gerechten Verteilung via Streaming sprechen wir ja schon lange. Von einer höheren Quote heimischer Acts in den Radios auch.

Anne Eck ist Chefin des ersten Frauenlabels in Wien: Silvertree Records.
Foto: Carina Antl

In jedem Fall hat man gesehen, dass durch Corona einige Radios ihre Quote erhöht haben und sehr solidarisch gehandelt haben. Der Diskurs, was Musik wert ist und wie dieser Wert im digitalen Raum eingefordert werden kann, hat zugenommen – damit meine ich nicht nur die Kritik und das Einfordern gerechter Verteilung von Streaming-Anbietern, sondern wie man generell mit dem Onlineangebot umgeht.

Was die Pandemie in jedem Fall allen gezeigt hat, ist, wie wichtig und fantastisch Livemusik ist. Das wird kein digitales Angebot je ersetzen können. Und das ist irgendwie sehr schön. In Anbetracht der unsicheren Lage und aktuellen Corona-Situation habe ich mich noch mehr entschieden, mich auf mein eigenes Projekt, also meine eigenen Veröffentlichungen, zu konzentrieren. Das Label und ich arbeiten derzeit mit ganzem Fokus an meinen Singles.

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"Ich habe sogar einen Laden eröffnet"

Bernhard Kern von Siluh Records

Erstaunlicherweise waren die letzten beiden Jahre die erfolgreichsten in der 16-jährigen Geschichte von Siluh Records. Und zwar dank großartiger Veröffentlichungen von Bulbul, Culk, Euroteuro und Aloa Input, die alle Erwartungen übertrafen.

Dazu habe ich mit dem Siluh Laden einen Plattenladen bei der Friedensbrücke im 20. Bezirk eröffnet. Jeden Dienstag und Donnerstag können da nicht nur ausgewählte Veröffentlichungen von Wiener Acts erworben werden, sondern der Fokus liegt neben neuen internationalen Indie-Veröffentlichungen auf Jazz, Afrobeat und experimentelle Zugänge rund um den Globus.

Prinzipiell ist die Lage bei einem Indie-Label immer angespannt. Über die Jahre habe ich aber gelernt, mit limitierten Ressourcen effektiv umzugehen. Unabhängig von der Pandemie ist der direkte Kontakt zu Musikinteressierten immer wichtiger geworden. Hier lässt sich die Musikplattform Bandcamp positiv erwähnen, bei der sich Musik als LP oder Stream/ Download direkt vom Label oder den Artists erwerben lässt.

Bernhard Kern beglückt mit Siluh Records die Musikwelt.
Foto: Barbara Kapusta

Dazu haben einige Acts zu ihrem jeweiligen Releasetag angeboten, Platten direkt mit dem Fahrrad im Stadtgebiet persönlich zu liefern. Das ist auf große Resonanz gestoßen. Viele Musikinteressierte wollen ja Artists direkt unterstützten und finden so außergewöhnliche Aktionen speziell interessant. Für dieses Jahr steht der Ausbau des Webshops groß auf der To-do-Liste. Der direkte Verkauf hat sich als sehr florierend erwiesen und soll nun forciert werden.

Am Label startet Wolfgang Möstl sein neues Soloprojekt Wolf Lehmann mit einem Debütalbum im März. Vague bringen im Mai ihr drittes Album heraus, und im August erscheint das Debüt von Sophia Blenda, dem neuen Projekt von Culk-Sängerin Sophie Löw.

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"Wir sind gelernte Optimisten"

Wolfgang Reitter von Konkord Records

Im Konkord-Hauptquartier hat sich im Grunde nichts verändert: Wir haben gut damit zu tun, interessante Musik zu produzieren und zu veröffentlichen. Und das machen wir so gerne, dass es schon eine Zombie-Apokalypse bräuchte, um uns davon abzuhalten. Blöd ist halt, dass in der Regel 70 bis 90 Prozent aller Tonträger bei Konzerten und Veranstaltungen verkauft werden. Die sind uns wirklich abgegangen. Auch extrem lange Lieferzeiten und Preissteigerungen bei Vinyl- und CD-Herstellern sind ein ziemliches Problem.

Zum anderen haben wir noch nie so viele Platten über den Webshop verkauft und in alle Welt verschickt. Auch die Streaming-Zahlen sind stark nach oben gewandert. Viele Musikfans haben wohl während der Lockdowns und im Homeoffice Lust gehabt, etwas Neues zu entdecken.

Wolfgang Reitter vom höflichen Label Konkord.
Foto: Konkord Rec.

Die veranstaltungslose Zeit haben wir genutzt, um einige Baustellen aufzuarbeiten: Die Website konkord.org hat einen Relaunch erfahren. Tonträger- und Digitalvertrieb wurden neu aufgestellt. Das Lager wurde nach zehn Jahren wieder einmal aufgeräumt und geordnet. Und erstmals hatten wir einen Stand auf einem Wiener Weihnachtsmarkt!

Als ausgebildete Optimisten betrachten wir die Lage mit schwarzem Humor und freuen uns auf ein fantastisches Jahr 2022. Zunächst erscheint das neue Album der Grazer Rock-Institution The Base. Mit der R-’n’-B-Sängerin Bad Ida und der Band Heaven Sent Cat haben wir großartige neue Artists im Programm.

Dazu kommen zwei Retro-Perlen: die Wiederveröffentlichung der LP On A Blue Day von der Kärntner Band The Beatniks, eine seltene Freakbeat-Granate von 1967. Und auf der Compilation Schnitzelbeat Vol. 3 widmen wir uns obskuren österreichischen Psychedelic-Rock-Raritäten aus den 1960er- und 1970er-Jahren.

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"Vorsichtig bleiben"

Stefan Redelsteiner betreibt mit Herwig Zamernik alias Fuzzman das Lotterlabel

Meine Reaktion war, dass ich unser Label radikal ausgedünnt habe, um wirtschaftlich zu überleben. Vor der Pandemie hatten wir circa zehn bei uns aktiv veröffentlichende Acts, und die Devise war Expansion; mittlerweile sind es vier verbliebene: Fuzzman, der mit mir das Label betreibt, Voodoo Jürgens, Ansa Sauermann und Klitclique. Es war hart, die Zusammenarbeit mit den anderen Künstlern zu beenden; in den meisten Fällen habe ich ihnen aber ihre neuen Labels selbst vermittelt, damit sie nicht das Gefühl haben, dass wir ihnen die Tür vor der Nase zuknallen oder keine Wertschätzung mehr für sie hätten.

Die nächsten ein, zwei Jahre werde ich weiter vorsichtig sein und von neuen Signings Abstand nehmen, sofern es sich nicht um eine Reinkarnation der Beatles oder vergleichbar Galaktisches handelt. Mit den Acts, die nun an Bord sind, und den vollzogenen Einsparungen sind wir, denke ich, ein superschlankes, gesundes Unternehmen, das seine Rechnungen bezahlen und seinen Verpflichtungen den Künstlern und Mitarbeitern gegenüber nachkommen kann. Das war mir in dieser ungewissen Phase am wichtigsten.

Stefan Redelsteiner hat das Lotterlabel verschlankt.
Foto: Christian Fischer

Sollte sich die Situation und die damit verbundenen Einschränkungen wieder bessern und alles "back to normal" gehen, kann man wieder vorsichtig mehr Risiko nehmen, aber aktuell fühle ich mich relativ wohl mit unserem aktuellen Status. Netter persönlicher Side Effect: Weniger Bands bedeutet weniger Burnout, weniger eingespannt sein, und weniger Konzerte heißt weniger besoffen sein, sich weniger blöd aufführen, weniger oft auf die Goschen fallen.

Also auf persönlicher Ebene eine gute Zeit der Einkehr und Besinnung aufs Wichtige. Vieles von dieser gewonnenen Gelassenheit mag ich beibehalten, sollte sich das alles wieder legen, jawohl! (Karl Fluch, 25.1.2022)