Hoffnung auf tierversuchsfreie Corona-Forschung: Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme eines 3D-Zellenmodells mit Zellkernen in Blau und Sars-CoV-2-infizierten Zellclustern in Grün.

Foto: Wilflingseder / Posch / Noureen

Für Doris Wilflingseder sind es interessante Zeiten. Als Infektionsbiologin, die sich auf die Interaktion zwischen Krankheitserregern und Immunsystem konzentriert, ist während einer Pandemie viel zu tun. "Wir arbeiten an einer ganzen Reihe von Projekten zu Covid-Infektionen. Ich könnte locker zehn Leute mehr brauchen, um die für uns interessanten Fragen zu beantworten", sagt die Professorin am Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Medizinischen Universität Innsbruck.

Wilflingseder und ihr Team sind darauf spezialisiert, das – besonders auch bei Corona – sehr komplexe Verhalten des Immunsystems anhand von künstlich hergestellten, dreidimensionalen Gewebemodellen zu untersuchen. Die Forschung mit diesen menschlichen Zellkultursystemen erlebte zuletzt einen regelrechten Boom. Die Immunologin – und studierte Zoologin – hofft, dass man dadurch Tierversuche in präklinischen Forschungen bald weitgehend wird ersetzen können.

Alternativen zu Tierversuchen

Das ist Wilflingseder ein großes Anliegen: "Bei jeder Wirkstoffentwicklung könnten zig Tests, die an Tieren durchgeführt werden, zunächst in geeignete Zellkulturen verlagert werden." Als Initiatorin und Sprecherin des MUI Animal Free Research Cluster versucht sie – auch in enger Kooperation mit dem Austrian Drug Screening Institute (ADSI) – Alternativen voranzutreiben. "Ich selbst habe in meiner wissenschaftlichen Karriere noch nie einen Tierversuch gemacht, sondern immer mit humanen Zellsystemen gearbeitet", sagt die Forscherin.

Doris Wilflingseder ist Immunologin an der Medizinischen Universität Innsbruck.
Foto: Nicolas Hafele

Auch in Bezug auf Corona interessiert Wilflingseder vor allem die unmittelbare, angeborene Immunantwort des Körpers, die noch vor T-Zellen oder Antikörpern reagiert. "Wir forschen seit Jahren am sogenannten Komplementsystem jener Immunabwehr, die innerhalb kürzester Zeit aktiviert wird, wenn Pathogene in den Körper eindringen", sagt die Immunologin.

In einer Studie Wilflingseders mit ihrem Kollegen Wilfried Posch wurde diese Art der Immunreaktion bei Covid-19 untersucht. Die Forschenden infizierten 3D-Zellkulturmodelle des Epithels, also der inneren Oberflächenschichten von Lunge und Atemwegen, mit Sars-CoV-2.

Als Reaktion begannen die Epithelzellen unter anderem sogenannte Anaphylatoxine zu produzieren. Das sind spezielle Proteine, die als Teil des Komplementsystems zur Entstehung einer Entzündungsreaktion beitragen, indem sie an Rezeptoren an der dem Körperinneren zugewandten Seite der Zellen andocken.

Überschießende Immunreaktion

"Sobald das Andocken dieser Komplimentfragmente erkannt wird, kann – sofern nicht ein körpereigener Regulierungsmechanismus eingreift – eine Kaskade losgelöst werden, die zu einer potenziell lebensbedrohenden überschießenden Immunreaktion führt." Dazu passt, dass auch bei Covid-Patienten mit kritischem Verlauf erhöhte Anaphylatoxinwerte festgestellt werden konnten. Die Innsbrucker Forschenden waren nun die Ersten, die diesen Mechanismus im – tierversuchsfreien – Modell außerhalb des Körpers nachstellen und beobachten konnten.

Es gibt bereits Medikamente, die darauf ausgelegt sind, genau jene Reaktionen des Komplementsystems zu blockieren. "Wie erwartet, wird durch den Einsatz dieser Wirkstoffe die überschießende Entzündungsreaktion unterbunden", betont Wilflingseder. "Es sieht danach aus, als würden die Viren die Entzündungsreaktion sogar benötigen, um überhaupt weitere Zellen infizieren zu können. Den genauen Mechanismus dahinter kennen wir aber noch nicht."

Rezeptorblocker

Die Rezeptorblocker wurden bereits während der ersten Covid-Welle bei einigen Patienten mit sehr schwerem Verlauf in Italien eingesetzt. Wie realistisch ein breiter Covid-Einsatz des Wirkstoffs im Zuge eines Medikamenten-"Repurposing" ist, kann aber noch nicht beantwortet werden. "Es handelt sich um eine sogenannte ,orphan drug‘, einen teuren Wirkstoff mit aufwendiger Produktion, der gegen eine rare genetisch bedingte Störung in der Entwicklung von Blutzellen eingesetzt wird", beschreibt die Forscherin. Möglich wäre, dass sich auch ein anderer Weg finden lässt, um den nachgewiesenen Mechanismus therapeutisch zu nutzen.

In dieser 2021 abgeschlossenen Studie kam noch der Wildtyp der Sars-CoV-2-Viren zum Einsatz. Mittlerweile steht die Omikronvariante im Fokus, die – wie es scheint – für mildere Krankheitsverläufe sorgt. Wilflingseder, Posch und ihre Teams analysieren nun anhand von 3D-Zellkultursystemen aus verschiedenen Bereichen des Respirationstrakts die Gründe dafür und untersuchen, welche immunologischen Mechanismen hinter der Veränderung stehen.

In einem weiteren Projekt sollen die Gewebemodelle des Epithels zudem um eigene Immunsystemkomponenten, die die Epithelzellen selbst nicht mitbringen, erweitert werden. Damit könne man die Vorgänge im Körper auch entsprechend realistischer abbilden, sagt die Forscherin.

Modell mit Körperfunktion

Bei dem für die Covid-Experimente genutzten Modell werden in einer 3D-Matrix Zellen angesiedelt, die man reifen und ausdifferenzieren lässt, sodass sie dem Epithelgewebe von Lunge und Atemwegen entsprechen – und wie dieses etwa auch Schleim absondern. In noch komplexeren Systemen werden mehrerer Modelle dieser Art – etwa auch Lungenorganoide, die die Forschungsgruppe ebenfalls nutzt – gekoppelt, um Interaktionen im Hochdurchsatz beobachtbar zu machen.

Letztendlich könnte eine Kombination der verschiedenen Zellsysteme Tierversuche stark reduzieren, vielleicht irgendwann ganz ersetzen. Wilflingseder legt auch Wert darauf, dass die Modelle selbst ohne tierische Bestandteile auskommen: Als 3D-Matrix, in der die Zellen angesiedelt werden, nutzte die Gruppe früher Kollagen aus Rattenschwänzen, mittlerweile hat man umgesattelt auf eine birkenbasierte Zellulose. (Alois Pumhösel, 11.2.2022)