Diebe wie wir: Das Delinquentenpaar in Rakshan Benietemads Film "Nargess".

Im iranischen Kino gewinnt oft poetische Verdichtung gegen die Darstellung der nackten Realität. Wer die Dinge konkret und mit Nachdruck benennt, muss Restriktionen fürchten: Als Jafar Panahi beispielsweise sein Frauendrama Der Kreis (2000) drehte, für das er in Venedig den Goldenen Löwen gewann, tat er dies auf den Straßen von Teheran meist ohne offizielle Genehmigung. Widerständige Heldinnen, die sich gegen das starre Regelsystem auflehnen, duldet das Mullahregime auf keiner Leinwand.

Angesichts solcher Einschränkungen ist es bemerkenswert, dass es einer so energischen Filmemacherin wie Rakhshan Banietemad über Jahrzehnte gelungen ist, im Iran ihrer Arbeit nachzugehen. Den engagierten Blick auf Unterprivilegierte hat sie nie abgelegt. Banietemads Ästhetik der Übergangenen destabilisiere die dominante Moral, schrieb der Kulturwissenschafter Hamid Dabashi einmal über sie. Bei einer Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum kann man sich davon jetzt ein Bild machen.

Kunst muss gesellschaftlich wirken: die iranische Regisseurin Rakhshan Banietemad.
Foto: N. rohani/Filmmuseum

Als sie im Jahr 1991 Nargess realisierte, war die Islamische Revolution gerade zwölf Jahre alt. Banietemad zeigt in ihrem ersten Spielfilm nach eigenem Drehbuch die sozialen Zerfallserscheinungen auf. Vermittelt über einen Blick auf die Ränder: In der melodramatischen Dreiecksgeschichte reißen sich ein Diebespaar und eine junge, mittellose Frau gegenseitig immer tiefer ins Elend.

Die aggressive Direktheit, mit der Banietemad das Begehren ihrer Figuren in Bilder übersetzt, betört bis heute: Die etwas ältere Diebin will ihren "Ziehsohn", der gleichzeitig ihr Geliebter ist, nicht freigeben. In einem Land, das Körper verhüllt und Sexualität negiert, ist die Vehemenz der Figur geradezu unerhört.

Macht der Willkür

"Nargess war das Resultat eines kurzen Zeitraums, den ich die ,goldene Periode‘ nenne", erläutert Banietemad, die ihren Wien-Besuch kurzfristig noch absagen musste, im STANDARD-Gespräch. "Damals konnten Filmemacher, deren Arbeiten als hochwertig bewertet wurden und das Publikum begeisterten, noch Filme drehen, ohne das Drehbuch bei der Zensurbehörde vorgelegt zu haben." Und später? Natürlich, sagt Banietemad, "bei Frauenthemen braucht man stets großes Fingerspitzengefühl". Zensur unterliegt im Iran keinen klaren Gesetzen, die Macht geht von ihrer Willkür aus. Es gelte, so die Filmemacherin, "Wege und Umwege zu finden, die roten Linien zurückzudrängen".

Banietemad setzte von Film zu Film weiter mutige Akzente, etwa indem sie im Melodram die Gewichtungen verschiebt. In The May Lady (1998) hinterfragt sie das Selbstverständnis des patriarchal geprägten Landes mit einer raffinierten Innenschau: Es geht um eine alleinerziehende Mutter und ihren adoleszenten Sohn, der sie verehrt und dabei mit der Rolle des fehlenden Vaters kokettiert. Sie habe Elemente des Dokumentarfilms, Reenactements und des narrativen Spielfilms zusammengeführt; das Ergebnis kann man als einen Essay über die Widerstandskraft weiblicher Subjektivität bezeichnen.

Flexibel in der Formatwahl

1954 geboren, hatte Banietemad noch vor der Revolution beim Fernsehen zu arbeiten begonnen. Als sich die Bedingungen verschlechterten, wich sie ins Kino aus. Weil sie ihre eigenen Projekte nicht durchbrachte, verfilmte sie zunächst die Bücher anderer Autoren. In der Wahl ihrer Formate bliebt sie stets flexibel, zuletzt drehte sie wieder vermehrt dokumentarisch über Themen wie ein Frauenhaus in Teheran, junge Politaktivistinnen oder einen Kindergarten.

"Ich habe dieses Genre nie verlassen und wurde immer von gesellschaftlichen Themen angetrieben. Eine Kunst, die nur für sich selbst da ist, ergibt in unserer Kultur keinen Sinn", sagt Banietemad. Veränderungen kann sie erkennen, die Forderungen von Frauen jüngerer Generationen würden viel weiter gehen als früher – auch die MeToo-Bewegung habe im Iran eine "warnende Wirkung" gehabt. Hat sie Hoffnung, dass es sich zum Besseren entwickelt? "Es braucht Reformen, die an der Wurzel ansetzen müssen. Bis zur Erfüllung dieser Prozesse ist meine Antwort: Nein." (Dominik Kamalzadeh, 31.1.2022)