Die Juristin Theresa Kamp greift in ihrem Gastblog die schwierige Situation auf, wenn sich ein Elternteil mit dem gemeinsamen Kind ins Ausland absetzt.

Immer wieder gibt es weitreichende mediale Berichterstattung zu Fällen von Kindesentführungen. Gemeint sind Fälle, in denen ein Elternteil ein Kind in ein anderes Land bringt oder es nicht mehr von dort zurückbringt und so das Sorgerecht des anderen Elternteils verletzt. Erst vor kurzem hat sich der Oberste Gerichtshof erneut mit dieser Frage beschäftigt (OGH 12.5.2021, 6 Ob 83/21f).

Im konkreten Fall kehrte eine Mutter mit ihrem Kind nach einem Heimaturlaub in Österreich nicht mehr in die USA zurück. Die Mutter berichtete von vorangegangen körperlichen Übergriffen des Vaters ihr gegenüber. Der Vater zog vor Gericht und bekam Recht. Der Oberste Gerichtshof ordnete die Rückführung des Kindes in die USA an und führte aus, es sei der Mutter zumutbar, mit dem Kind in die USA zurückzukehren.

Gericht des Fluchtstaats entscheidet

Wenn Eltern sich trennen, kann das selbst ohne internationalen Bezug zu heftigen Konflikten und jahrelangen Gerichtsstreitigkeiten führen. Dramatisch wird es, wenn ein Elternteil einfach mit dem Kind ins Ausland geht und so dem anderen auch obsorgeberechtigten Elternteil das Kind "entzieht".

In dem Zusammenhang ist das Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) zu beachten. Das HKÜ ist ein internationaler Vertrag, der versucht, Kinder bei grenzüberschreitenden Entführungen zu schützen und ihre möglichst schnelle Rückführung zu forcieren. Eine EU-Verordnung (Brüssel IIa) ergänzt die Regeln das HKÜ.

Verlegt ein Elternteil eigenmächtig den Aufenthalt des Kindes in ein anderes Land, so muss der "Fluchtstaat" entscheiden, ob das Kind wieder in den "Ursprungsstaat" zurückgebracht werden soll. Die Gerichte des Ursprungsstaats sollen dann darüber entscheiden können, wer in Zukunft die Obsorge für das Kind ausüben soll. Normalerweise wird die rasche Rückführung des Kindes dem Kindeswohl entsprechen. In dem Verfahren, ob ein Kind rückzuführen ist oder nicht, geht es nicht primär um die Frage, welcher Elternteil sich besser um das Kind kümmert. Es geht um die Frage, ob die Verbringung des Kindes ins Ausland an sich rechtmäßig war. Man möchte verhindern, dass ein Elternteil einfach Tatsachen schafft, indem er das Kind vielleicht in sein Heimatland bringt und dann dort die gewünschte Sorgerechtsregelung erwirkt.

In Ausnahmefällen, zum Beispiel wenn eine Rückführung mit schweren Gefahren für das Kind verbunden wäre, kann davon abgesehen werden. Relevant ist vor allem auch, ob der zurückgelassene Elternteil (mit) obsorgeberechtigt war.

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Der Staat, in den der Elternteil mit dem Kind geflüchtet ist, muss entscheiden, ob die Verbringung ins Ausland rechtmäßig war.
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Lange Verfahren

Das Verfahren über die Rückführung des Kindes ist ein Zivilverfahren. Das bedeutet, dass es unabhängig davon stattfindet, ob die Kindesentziehung im Ursprungsstaat eine Straftat ist oder nicht.

In Österreich ist Kindesentziehung eine Straftat. Eine, auf die im schlimmsten Fall drei Jahre Gefängnis stehen. Häufig ist aber nicht bekannt, dass als Täter oder Täterin nur jemand infrage kommt, der selbst nicht an der Obsorge beteiligt ist. Das bedeutet konkret: Haben zwei Eltern in Österreich die gemeinsame Obsorge für ihr Kind und setzt sich ein Elternteil plötzlich mit dem Kind in ein anderes Land ab, ist das keine Straftat – weil der "flüchtende" Elternteil eben selbst auch obsorgeberechtigt war. Unabhängig davon kann aber die Verbringung des Kindes widerrechtlich sein und natürlich zu einer Rückführung des Kindes nach Österreich führen. Strafrechtlich relevant könnte eine Verbringung des gemeinsamen Kindes dann sein, wenn es keine gemeinsame Obsorge gibt oder wenn zum Beispiel die Mutter allein obsorgeberechtigt ist und der Vater das Kind ins Ausland verbringt.

Problematisch ist, dass Verfahren zur Kindesrückführung manchmal lange dauern und sich dadurch zusätzliche Schwierigkeiten für das Kind ergeben können. Dauert ein Verfahren über eine mögliche Rückführung an und kommt es schließlich zur Rückführung, wird das Kind erneut aus seiner nunmehr gewohnten Umgebung gerissen. Wünschenswert wären daher rasche Verfahren, also entweder eine rasche Rückführung oder eine rasche Entscheidung darüber, dass es keine Rückführung geben wird. Schwierig(er) wird es, wenn das HKÜ nicht anwendbar ist, weil zum Beispiel Flucht- oder Ursprungsstaat nicht Vertragspartei sind. (Theresa Kamp, 1.2.2022)