Er hat die Freiheitsstatue, den Eiffelturm und das Weiße Haus zerstört. Kaum ein Filmemacher hat so viele Katastrophen über die Erde gebracht wie Roland Emmerich. Der 66-jährige Deutsche gilt in Hollywood als Spezialist fürs Destruktive. Independence Day, 2012 oder The Day After Tomorrow – seine Filme haben bisher knapp vier Milliarden Dollar weltweit eingespielt.

Am 10. Februar startet Moonfall in den Kinos, eine Geschichte über den Mond, der außer Kontrolle gerät und die Existenz der Erde bedroht. Im Videointerview aus Los Angeles entschuldigt Emmerich sich für seine Ausdrucksweise: "Das bereitet mir gerade etwas Mühe, ins Deutsche reinzukommen." Manche Antworten beantwortet er komplett auf Englisch.

Roland Emmerich ist bekannt für seine Katastrophenfilme. Seit 1990 arbeitet der gebürtige Deutsche in Hollywood.
Foto: Imago Images / TT, 2022 Leonine

STANDARD: Herr Emmerich, Ihr neuer Film wurde fast vollständig unter Corona-Bedingungen gedreht. Was mussten Sie konkret beachten?

Roland Emmerich: Laufend wurde das gesamte Team getestet. Ich durfte nie näher als zwei Meter an meine Schauspieler herankommen. Wir haben morgens in einem riesigen Kreis gestanden, Maske und Gesichtsschutz getragen, eine Szene durchgesprochen und sind anschließend ans Set gegangen, um zu drehen. Wenn ich allein vor dem Monitor saß, drumherum lauter Plexiglaswände, konnte ich mein Face-Shield ablegen. Sonst hätte ich gar nicht richtig den Bildschirm sehen können, das reflektierte viel zu sehr.

STANDARD: Ein Schauspieler hat es aber erst gar nicht zu den Dreharbeiten geschafft: Stanley Tucci. Er durfte aus London nicht nach Montreal in Kanada einreisen, wo Sie gedreht haben.

Emmerich: Wir haben rasch jemanden besetzt, der noch besser ist: Michael Peña.

STANDARD: Er wurde durch Auftritte in L.A. Crash oder American Hustle bekannt.

Emmerich: Da gab es leider auch Komplikationen. Er hat plötzlich rausgefunden, dass sein Pass abgelaufen ist. Wenn man nie reist oder immer nur in Amerika, bemerkt man das nicht. Wir haben ihn quasi über die Grenze geschmuggelt. Nach zwei Wochen bekam er schließlich seine neuen Dokumente.

STANDARD: Stimmt es, dass der Anwalt von Keith Richards Ihnen dabei geholfen hat?

Emmerich: Ja, irgendjemand hat ihn gekannt, ich nicht. Er hat einen Grenzort gefunden, an dem Michael Peña nur mit seiner Geburtsurkunde einreisen durfte.

STANDARD: Hat Sie die Pandemie mit Corona-Erkrankungen am Set eingeholt?

Emmerich: Gegen Ende gab es einen Fall. Am viertletzten Tag haben wir plötzlich gehört, dass der Vater von einem der Kinderdarsteller Corona hatte – und der Junge halt mit ihm zusammen war. Meine Regieassistentin kam sofort zu mir: Wir müssen sofort alles stoppen. Wir haben vier oder fünf Tage lang getestet, getestet, getestet. Alle am Set. Zum Schluss stellte sich heraus, dass der Mann einen Fehlalarm hatte – zum Glück.

Roland Emmerichs neuer Film "Moonfall" kommt am Donnerstag ins Kino.
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STANDARD: Mit der Welt blieben Sie über Videocalls in Kontakt.

Emmerich: Ich habe sogar einmal Regie per Video geführt. Wir mussten eine Szene nachdrehen, ich saß in Amerika fest, der Kinderdarsteller drehte bereits wieder in Vancouver. Da haben wir uns entschieden, einen halben Tag am Bildschirm einzuplanen. Das war ganz schlimm. Ich bin ein extrem ungeduldiger Mensch, alles geht mir zu langsam. Deswegen renne ich normalerweise konstant am Set herum. An diesem Tag ging das nicht. So was von frustrierend. Möchte ich nie wieder machen.

STANDARD: Was hat Sie genervt?

Emmerich: Dass ich keine Sachen rumrücken konnte. Ich habe das Team in Kanada über den Computer anweisen müssen: Stellt das mal mehr in die Mitte, schiebt das ein bisschen nach rechts! Am Ende haben wir 13 Stunden gebraucht – für eineinhalb Minuten im Film.

STANDARD: Die Ausstattung einer Szene ist Ihnen wichtig. Zu Beginn Ihrer Karriere wollten Sie Filmausstatter werden und haben sich Ende der 1970er-Jahre dafür an der Filmhochschule in München beworben. Welche Filme haben Sie damals beeindruckt?

Emmerich: Science-Fiction-Filme wie Unheimliche Begegnung der dritten Art. Ich habe an der Hochschule versucht, einen ähnlichen Stil einzuführen. Plötzlich Rauch machen, diffuses Licht einsetzen, ein bisschen von hinten beleuchten. Mit Sprühgeräten konnte ich irre gut Nebel erzeugen, Gartenspritzen habe ich verwendet, um Oberflächen nass zu machen. Ganz natürlich wurde ich zum Filmemacher, indem ich mir Fragen stellte: Warum stelle ich die Kamera nicht hierhin, dann sieht es doch besser aus?

STANDARD: Sie mochten Star Wars, Ihre Kommilitonen eiferten Autorenfilmern wie Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder nach. Warum haben die Sie nicht interessiert?

Emmerich: Weil sie langweilig waren. In einem Film von Wenders passiert mir zu wenig, auch heute noch. Ich bin inzwischen befreundet mit ihm, ich sage ihm das auch ins Gesicht.

STANDARD: Haben Sie Fassbinder einmal getroffen? Er lebte zur selben Zeit in München.

Emmerich: Ich habe sogar direkt gegenüber von ihm gewohnt. Ab und zu habe ich ihn im Laden an der Ecke gesehen. Wir haben manchmal ein wenig geplaudert. Eine Frage hat mich immer beschäftigt, nämlich warum er das Licht in seinem Zimmer, Tag und Nacht, nie ausgeschaltet hat.

STANDARD: Nach Hollywood kamen Sie 1990, weil Moon 44 – ein auf Englisch gedrehter Science-Fiction-Film – gut bei einigen Produzenten ankam.

In "Moonfall" gerät der Mond aus seiner Umlaufbahn und bedroht das Leben auf der Erde.
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Emmerich: Mein erstes Jahr in Amerika war nicht sehr schön. Ich musste mit Joel Silver arbeiten, einem der größten Action-Produzenten. Wir haben uns überhaupt nicht verstanden. Nach Blockbustern wie Stirb langsam hielt er sich für unfehlbar. Er hat damals Hollywood regiert. Ist durch die Stadt gelaufen, mit zwei oder drei Assistenten im Schlepptau, jeder von denen trug ein tragbares Telefon am Ohr, und laut schreiend hat Silver dann drei Gespräche gleichzeitig geführt. Das hat jeder auf dem Gehsteig mitbekommen.

STANDARD: Sie sollten einen Actionkracher mit Sylvester Stallone drehen, damals einer der größten Kassenmagneten. Warum haben Sie das abgelehnt?

Emmerich: Sechs Wochen vor Drehbeginn habe ich Silver gesagt, das Drehbuch ist Mist. Daraufhin hat er mich angeschrien. Ich glaube, ich bin der einzige Regisseur, der jemals Nein zu ihm gesagt hat.

STANDARD: Redet Stallone noch mit Ihnen?

Emmerich: I have nothing to do with him. Ich sehe ihn manchmal auf einer Party, wir grüßen uns nicht.

STANDARD: Die größten Stars stehen auf der sogenannten A-List. Im Moment gilt laut Forbes Dwayne Johnson als am besten verdienender Schauspieler mit 90 Millionen US-Dollar pro Jahr. Würden Sie ihn besetzen?

Emmerich: Nein.

STANDARD: Weil der große Name einen Schatten auf Ihre Story werfen würde?

Emmerich: Ja, das auch. Er soll seine Filme machen, ich mach meine. Ich finde, solche Gagen sind nicht nötig. Halle Berry und Patrick Wilson, die in Moonfall die Hauptrollen spielen, kriegen schon ihr Geld. Da will ich keine Zahlen nennen, Halle Berry bekommt etwas mehr, ich glaube eine halbe Million, weil sie sich eine zweite Karriere hinter der Kamera aufgebaut hat. Das macht sich sofort bei Honorarverhandlungen bemerkbar.

STANDARD: 20 Millionen Dollar gelten als Schallgrenze für einen richtigen Star.

Emmerich: Nein, da landen wir auf keinen Fall.

STANDARD: Gibt es nach der Pandemie solch hohe Forderungen überhaupt noch?

Emmerich: Oh ja, wegen Netflix und Amazon. Für die ist es fast ein Klacks, 200 Millionen pro Film auszugeben. Ein Streamer wie Netflix weiß, er hat soundso viele Abonnenten, die bringen Milliarden Dollar ein, für die ist so ein Betrag dann nichts.

STANDARD: Mit dem Oscar prämierte Regisseure wie Martin Scorsese oder Alfonso Cuarón drehen für den Streamingdienst. Wäre das für Sie attraktiv?

Emmerich: Ich will mein eigenes Ding machen. Die Sachen, die ich produziere, sollen mir gehören. Und das geht bei einem Netflix-Vertrag nicht, da wird man mit einer Summe abgefunden, das war’s.

STANDARD: Sie meinen, es gibt keinen Backend-Deal, wie das im Fachjargon heißt. Was beinhaltet so eine Vereinbarung?

Emmerich: Dass ich an allem, was ich mache, Prozente verdiene. Mir gehört fast die Hälfte des Profits. Der Rest verteilt sich dann auf die Schauspieler, das ist superkompliziert geregelt. Die letzten beiden Filme habe ich auf diese Weise gemacht, im Grunde als teure Independent-Movies, und mir gefällt das total. Allerdings weiß ich nicht, ob ich das in Zukunft wiederholen kann.

STANDARD: Gab es bereits Anfragen von Streamern?

Emmerich: Ja. Meist war ich beschäftigt. Oder es hat mich nicht interessiert. Ich will keine Franchise-Filme mit Super Heroes drehen. Und es gibt fast nichts anderes im Moment.

STANDARD: Sie haben mehrmals das Superheldengenre kritisiert. Warum interessieren sich trotzdem Millionen Kinogänger für Iron Man, Thor und Captain America?

Emmerich: You tell me! Ich frage mich auch, warum die so irre gute Kritiken bekommen. Ich verstehe die Filme nicht.

STANDARD: Zugespitzt könnte man sagen: Sie sind doch nur Märchen – wie Ihre Science-Fiction-Abenteuer.

Emmerich: Die Marvel-Filme ergeben für mich keinen Sinn. Die können die buntesten Kostüme anhaben, es fühlt sich fake für mich an. Sorry. Ich habe ein bisschen die Angst, dass es in Zukunft weniger Kinos geben wird, nur noch große Säle – und dass sich in denen Marvel und DC Comics abwechseln, während kleine, interessante Filme bei den Streamern landen. Zum Beispiel Being the Ricardos oder The Power of the Dog

STANDARD: Beide Filme haben jüngst bei den Golden Globes gewonnen und gelten als Oscar-Kandidaten.

Emmerich: Die Streamer lassen sie eine Woche in den amerikanischen Kinos starten, damit sie sich für die Oscars qualifizieren. Danach laufen sie sofort auf Netflix oder Amazon.

STANDARD: Amazon hat sich vergangenes Jahr für 8,45 Milliarden Dollar das traditionsreiche Studio MGM geschnappt. Wirkt sich das auf Hollywoods Machtgefüge aus?

Emmerich: Die haben es wegen der Library gekauft. MGM hat die größte Filmsammlung von allen Studios, dafür bezahlen die. Momentan dreht Amazon eine Serie aus dem Lord of the Rings-Kosmos. Die geben Geld aus, als gäbe es kein Morgen. Die können sich das erlauben. Mit Amazon haben sie eine Megastruktur drumherum, um das zu vermarkten. Ich glaube, eines Tages wird Amazon Prime auch Netflix schlucken. Das wird der Machtkampf der Zukunft sein.

STANDARD: Filme und Serien werden also trotzdem weiterhin gedreht, selbst wenn die Kinos sterben?

Emmerich: Die Streamer fangen das auf. Deshalb sind viele Schauspieler oder Regisseure während der Pandemie nicht arbeitslos geworden. Ich glaube, das Kino als magischen Ort wird es noch zehn oder 20 Jahre geben. Danach wird sich jeder zu Hause angucken, was ihn interessiert. Die Bildschirme werden immer größer, meiner daheim hat auch 90 Zoll, das sind mehr als zwei Meter in der Diagonale.

STANDARD: Als in den Monaten des Lockdowns die Kinos geschlossen blieben, hat Ihnen das ein bisschen Zukunftsangst gemacht?

Emmerich: Mit 66? Come on. Ich kann doch in den vorzeitigen Ruhestand gehen.

STANDARD: Wollen Sie?

Emmerich: Wenn ich ehrlich bin, fühl ich mich topfit. (Ulf Lippitz, RONDO, 10.2.2022)

Der Trailer zu "Moonfall".
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