Wenige Tage nach ihrer vollständigen Genesung nach einer Covid-Erkrankung folgt Lily Ebert einer Einladung von Prince Charles in den Buckingham Palace. Ebert ist Ehrengast bei der Ausstellung "Seven Portraits: Surviving the Holocaust".

Foto: News Group Newspapers Ltd

Lily Ebert hält ihren Arm in die Kamera – darauf ist die Zahl 10572 zu lesen. "Ich habe diese Zahl in Auschwitz bekommen und mir an den schlimmsten Tagen geschworen, wenn ich das hier überlebe, dann erzähle ich es der Welt." Die Videos der ungarischen Jüdin entsprechen nicht dem Klischee der Plattform Tiktok, wo es meist um kurzweilige Unterhaltung geht, die oftmals die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet. Lily Ebert will aufklären, und das tut sie auf eine unnachahmliche Weise.

Es war die Hölle

Anfang 20 war Ebert, als sie zusammen mit ihrer Mutter und ihren zwei jüngeren Geschwistern in das Konzentrationslager gebracht wurde. Sie war die Einzige in ihrer Familie, die die Befreiung 1945 miterleben sollte. "Wir hatten keinen Platz zum Schlafen, nichts zu essen – es war die Hölle." Die meisten Videos von Ebert sollen an die Nazi-Verbrechen erinnern und diese nicht vergessen lassen.

Immer wieder finden sich auch Videos zu ihrer Familie – Treffen mit ihren 35 Urenkelinnen und Urenkeln beispielsweise. Oder sie ruft einfach dazu auf, nett zueinander zu sein. Hinter der Kamera ist dabei immer ihr Urenkel Dov Forman, der auf seinem eigenen Twitter-Feed gern für seine Uroma Werbung macht. Er war es auch, der Lily Ebert zu Tiktok überredet hat. Davor erzählte sie vor allem in Schulen über ihre Erlebnisse – vor der Pandemie.

2020 griff die BBC ihre Geschichte auf, und im September 2021 folgte ihr Buch "Lily’s Promise", das seit Jänner dieses Jahres auch in deutscher Sprache verfügbar ist. Auf 320 Seiten kann man dort ihre Geschichte auch nachlesen. Am 21. Jänner folgte der nächste Meilenstein für Ebert – ihr Urenkel schrieb auf Twitter: "Meine 98-jährige Uroma hat sich gerade von Covid-19 erholt. Nach einem Monat kann sie wieder spazieren gehen, nachdem sie sich wie durch ein Wunder nach der Krankheit ausreichend erholt hat."

Einblicke in ihr Familienleben, aber auch ganz viele Beiträge über das Nicht-Vergessen des Holocaust finden sich auf dem Tiktok-Kanal von Ebert.
Foto: Tiktok/Ebert

Nie vergessen

1,7 Millionen Follower hat die 98-Jährige bereits und über 25 Millionen Aufrufe. Das junge Publikum der Plattform scheint ebenfalls von Eberts Charme und ihrer bewegenden Geschichte in den Bann gezogen zu sein. Ihr erfolgreichstes Video mit vier Millionen Views ist jenes, in dem sie erzählt, warum sie die Zahl 10572 nicht von ihrem Arm hat entfernen lassen. "Es macht einen Unterschied", erzählt Ebert, "ob man etwas nur hört oder auch sieht. Die Welt soll sehen, wie weit Menschen gehen können. Du bekommst ein Tattoo, du trägst eine Nummer. Nicht mehr und nicht weniger." (aam, 2.2.2022)