Klimaschützer und Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler orten "Greenwashing" vonseiten der EU-Kommission.

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Wenn private Investoren ihr Geld in europäischen Energieprojekten oder -unternehmen anlegen, können sie auch in den kommenden Jahren davon ausgehen, dass auch Strom aus Atom- und Gaskraftwerken in der EU-Gesetzgebung als nachhaltig eingestuft wird. Das geht aus dem Vorschlag zu einer sogenannten Taxonomie-Verordnung hervor, den die EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel beschlossen hat.

Nuklearenergie und Gas werden ausdrücklich als "Brückentechnologien" anerkannt, die dazu dienen, die ehrgeizigen gesamteuropäischen Ziele zur Reduzierung von Treibhausgasen gemäß dem Pariser Abkommen bis 2050 zu erreichen. Bis 2030 soll der Ausstoß von CO2 um 55 Prozent reduziert werden, gemessen an den Werten von 1990.

Mehrheitsmeinung in Kommission

Die für Kapitalmarktfragen und damit Investitionen zuständige EU-Kommissarin Maired McGuiness verteidigte in einer Pressekonferenz die Entscheidung, die mit "überwältigender Zustimmung" getroffen worden sei. Das Kollegium habe mit dem Vorgehen dem Auftrag der Regierungen der Mitgliedsstaaten und des Europäischen Parlaments entsprochen. Die Mitgliedsstaaten seien aber völlig frei bei der Wahl ihres Energiemix, denn die Taxonomie verpflichte zu nichts, erklärte McGuiness und sprach von einem Instrument beziehungsweise Wegweiser, "der Investoren Transparenz und Klarheit gibt". Denn man brauche die Privatwirtschaft, um den Klimawandel zu bewältigen. Regierungen und EU-Parlament hätten jetzt vier Monate Zeit, um den Vorschlag zu prüfen.

EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness hatte bereits im Vorhinein klargemacht, dass die Entscheidung für das grüne Label sicher sei.
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Diese seien nun am Zug, das Gesetzesvorhaben zu bestätigen oder abzulehnen, hatte McGuiness bereits im Vorfeld betont. Im Ministerrat wäre dazu eine superqualifizierte Mehrheit von 20 von 27 Staaten nötig, die zudem 65 Prozent der gesamten Bevölkerung in der EU repräsentieren. Im EU-Parlament reichte eine einfache Mehrheit, um den Prozess zu Fall zu bringen.

De facto ist aber eine Mehrheit der Staaten ohnehin dafür, Atomenergie und Gas für Investoren genauso attraktiv zu halten wie die Umstellung auf nachhaltige Energieformen wie Wind- oder Sonnenenergie und Biomasse oder Wasserkraft. Vor allem Frankreich und Polen, die stark von AKWs und Kohlekraftwerken abhängig sind, drängten darauf. Deutschland, das sehr stark von Gas aus Russland abhängig ist, hat sich auf die Seite der Befürworter der Taxonomie geschlagen, trotz Kritik.

Widerstand aus Österreich und Luxemburg

Umso heftiger ist seit Wochen und Monaten der Widerstand einer kleinen Gruppe von Ländern mit Österreich und Luxemburg an der Spitze. Die Regierung in Wien beziehungsweise Klima- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler kündigte mit ihrem luxemburgischen Kollegen Claude Turmes (beide Grüne) eine Klage beim Europäischen Gerichtshof an. Gewessler nahm am frühen Nachmittag zur aktuellen Entscheidung der EU-Kommission Stellung und sprach von einem "Greenwashing-Programm" für Atomerenergie und fossiles Erdgas und erfülle vor allem die Wünsche der Atomlobby.

Ein Beitrag zum Klimaschutz werde damit nicht geleistet, kritisierte sie. Atomenergie sei veraltet und zu teuer. Die Ministerin verwies auf das Atomkraftwerk Flamanville in Frankreich, das sowohl teuer als auch später fertig wird als geplant. Das Geld hätte man laut Gewessler besser in Erneuerbare Energien investieren sollen, denn nur damit gebe es Unabhängigkeit. "Wind und Sonne schicken uns keine Rechnung, ein Gaskonzern schon." Sie erwarte nicht, dass sich der EU-Rat innerhalb der Prüfungsfrist gegen den Entscheid der Kommission stellen werde. Gewessler bekräftigte daher, dass das Klimaschutzministerium die EU-Taxonomie prüfen und vor dem Europäischen Gerichtshof bekämpfen werde.

Bundespräsident Alexander van der Bellen betonte, "Atomkraft ist weder nachhaltig und sicher", auch Erdgas sei natürlich ein fossiler, klimaschädlicher Energieträger. Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), er sicherte Gewessler "volle Unterstützung" zu. Finanzminister Magnus Brunner zeigte sich über die erwartetet Reaktion auf den Märkten besorgt. Auch EU-Kommissar Johannes Hahn fürchtet Verwirrungen auf dem Kapitalmarkt. Hahn votierte in der Kommissionssitzung gegen den Beschluss, hieß es aus seinem Büro.

Die EU-Kommission beruft sich laut McGuiness bei ihrer Entscheidung darauf, dass es bei der Taxonomie nicht um die Förderung von Kernenergie oder Erdgas gehe, und es würden auch keine EU-Subventionen dafür eingesetzt. Es gehe lediglich darum, den Finanzmärkten weltweit eine Orientierung zu geben, ob Investitionen EU-weit berechenbar bleiben.

Kohleausstieg dringender

Es sei schließlich auch nötig, den Ausstieg aus der Kohleverstromung prioritär voranzutreiben, bei der die größte Umweltbelastung zu verzeichnen sei. Daher wäre insgesamt gesehen die weitere Verwendung von AKWs und Gaskraftwerken unvermeidbar. Allerdings will auch die Kommission das grüne Label nur unter bestimmten Auflagen ermöglichen. So wird es Auflagen für die Endlagerung von Atommüll geben.

Die Regelung soll laut dem Willen der Kommission und der Mitgliedsstaaten am 1. Jänner 2023 in Kraft treten, es sei denn, dass der Ministerrat oder das EU-Parlament das bis dahin noch verhindert, was aufgrund der Mehrheitsverhältnisse unwahrscheinlich ist. Auch die Mehrheit der EU-Abgeordneten unterstützt derzeit die Taxonomie in dieser Form.

Kritik von Klimaschützern

Die Grünen und viele Umweltorganisationen laufen gegen die Pläne Sturm. Ihrer Ansicht nach dürften öffentliche Investitionen nur für "echten Klimaschutz" verwendet werden, wozu sie Nuklearenergie nicht rechnen. Die Verordnung der Kommission unterlaufe die eigene Klimapolitik, argumentieren die grünen EU-Abgeordneten Thomas Waitz und Monika Vana. (Thomas Mayer aus Brüssel, red, 2.2.2022)