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In Steven Spielbergs Sci-Fi-Romanverfilmung "Ready Player One" (2018) werden Facebooks Virtual-Reality-Vorhaben bereits vorgezeichnet: Der Gamer Parzival kann darin den Großkonzernen zumindest die Stirn bieten.

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Mittlerweile gibt es sie ja wieder in gewissem Maß: die Fernreisen, die Theatervorstellungen, die Fußballspiele. Und die Zerstreuung auf den Bildschirmen, von Netflix bis zum Onlinecasino, lässt ohnehin kaum noch Wünsche offen. Niemand wird aber verhehlen, dass er diese Welt in den letzten zwei Jahren ganz gern auch einmal grundsätzlicher verlassen hätte. Und einer, der uns dabei nun offenbar helfen möchte, ist Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.

Von 7,7 Milliarden Menschen auf der Erde treibt sich fast die Hälfte auf seinen Plattformen herum. Nun lädt uns der neuntreichste Mann der Welt (104 Milliarden Dollar) ein, ihm vom Flachbildschirm in die dritte Dimension zu folgen: Im Dezember kündigte Facebook an, ein Metaverse zu erschaffen, ein virtuelles Pendant zur realen Welt, in das wir mittels Virtual-Reality-Brillen der von Facebook aufgekauften Firma Oculus und haptischer Hardware für Empfindungen eintauchen sollen.

Noch ist das Megaprojekt in der Testphase, aber dass es Facebook durchaus ernst meint, unterstrich Zuckerberg damit, dass er sein Firmenimperium gleich in Meta umbenannte – und seither juristisch Krieg führt gegen alle, die dieses Präfix, das "über etwas stehend" meint, bisher im Namen trugen.

Motor der Kreativität

Metaverse treibt die Idee der Virtual Reality (VR), die seit den 1990er-Jahren propagiert, aber nie massentauglich wurde, auf die Spitze: Als Avatare sollen wir darin nicht nur Zerstreuung in Gaming und Unterhaltung suchen, sondern auch arbeiten, lieben, Freundschaften pflegen und natürlich: investieren. Schon jetzt sichern sich Vermögende und Großkonzerne ihre Besitztümer im Metaverse, Grundstücke werden für Millionenbeträge gehandelt, die Warner Music Group orderte etwa bereits Räumlichkeiten für virtuelle Konzerte.

Psychologisch betrachtet ist der Eskapismus als Weltflucht, oder negativer gesagt als Realitätsflucht, ein wichtiger Mechanismus, um den Zumutungen des Alltags temporär zu entkommen. Kulturhistorisch gesehen steht die Beschäftigung mit der Fantasie, dem Geheimnisvollen und Unerklärlichen überhaupt am Beginn jeder Kunstproduktion.

Dass Zeiten gesellschaftlicher Umwälzungen Eskapismus und damit große geistige Leistungen befördern, ist historisch verbrieft: Die Pest wurde zum Motor der Aufklärung, die Städte Norditaliens gebaren um 1500 in Zeiten größter politischer Wirrnis geniale Meisterwerke, die Relevanz der Kunstmetropole Wien um 1900 basiert auch auf dem Rückzug der Kreativen in traumwandlerische Parallelwelten.

Die Romantik indes, die das Reich der Fantasie im großen Stil ergründete und den modernen Roman zum Massenmedium machte, handelte sich bald auch den Vorwurf ein, zu wenig auf die realen Verhältnisse zu blicken. So hielt Karl Marx seinem Freund Heinrich Heine dessen Schöngeistigkeit vor.

Alles für den Profit

Marx' Beobachtung, wonach sich das Kapital unentwegt neue Märkte erschließen muss, um die Profitrate zu halten, trifft auch auf die jüngsten Bestrebungen der Tech-Milliardäre zu. Jenen Eskapismus, den Mark Zuckerberg im Virtuellen sucht, sehen Amazon-Chef Jeff Bezos und Tesla-Gründer Elon Musk in extraterrestrischen Weltraumabenteuern, nach dem Motto: Wenn diese Welt schon nicht zu retten ist (und außerdem nicht mehr genug Profit abwirft), dann lasst uns mit allen Mitteln eine neue erschaffen!

Ihre Ideen hierfür beziehen alle drei aus der Science-Fiction-Literatur: Douglas Adams' "Per Anhalter durch die Galaxis" oder Iain Banks' "The Culture Series", aus der Facebook den Begriff Metaverse entlieh.

Durchgespielt hat das Vorhaben Zuckerbergs bereits der Roman "Ready Player One" (2011) von Ernest Cline. Das Buch wurde 2018 von Steven Spielberg verfilmt. Und mehr noch als der Film zeigt der Roman eine dystopische Zukunft, in der sich das Leben der Menschen zum Großteil in der von Tech-Monopolisten dominierten Virtual-Reality-Welt Oasis abspielt, während die reale Umwelt um sie herum dem sozialen, politischen und ökologischen Totalverfall preisgegeben wird.

Falsch verstandene Sci-Fi

Auffallend ist, dass den von Zuckerberg, Bezos und Musk verehrten Science-Fiction-Storys allesamt kapitalismuskritische, teils sozialistische Gedanken innewohnen. Iain Banks war vor seinem Tod 2013 irritiert darüber, dass die Tech-Milliardäre seine Geschichten zu libertären Anarchokapitalismen umdeuten. Losgelöst von der realen Welt empfanden sich die Science-Fiction-Autoren nie, vielmehr verstanden sie ihre Werke als Plädoyers für ethische Regeln, bevor es zu spät ist.

Es kann natürlich auch sein, dass das Metaverse grandios scheitert und ein ähnliches Schicksal wie das VR-Spiel "Second Life" aus den Nullerjahren erfährt: Zu schlechte Grafik ließ das Interesse rasch sinken, heute ist es nur noch ein Tummelplatz für digitale Sextouristen. Dass auch im Metaverse bereits sexuelle Übergriffe gemeldet wurden, wirft seine Schatten voraus.

Im Silicon Valley arbeitet man indes längst an Hardware für maximale Haptik, an empfindsamen Ganzkörperanzügen, wie man sie aus "Ready Player One" kennt. Der US-Philosoph Richard Kearney etwa fordert genau das, um der berührungsfeindlichen Gegenwartskultur, die nur noch den Sehsinn bedient, ein Körpergefühl zurückzugeben.

Beruhigenderweise hat aber auch das Grenzen. Denn wie heißt es so schön in "Ready Player One": "So schrecklich und schmerzvoll die reale Welt auch sein kann, sie ist der einzige Ort, wo man eine anständige Mahlzeit bekommt." (Stefan Weiss, 3.2.2022)