Ausschlaggebend für das Vorliegen eines Übergriffs ist das subjektive Empfinden der Betroffenen, die jenes Verhalten als unerwünscht wahrnehmen.

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Jede zweite Frau hat schon einmal sexuelle Belästigung im Job erlebt. Damit stellt sie nach wie vor die häufigste geschlechtsbezogene Diskriminierungsform in der Arbeitswelt dar. Das hat eine Spezialauswertung des Arbeitsklimaindex aus dem Jahr 2018 durch die Arbeiterkammer Oberösterreich ergeben.

Dabei gibt es eine starke geschlechtliche Gewichtung: 96,4 Prozent der Betroffenen sind Frauen und 94,4 Prozent der (mutmaßlichen) Belästiger Männer, wie Daten der Gleichbehandlungsanwaltschaft zeigen.

Eine weitere Studie des deutschen Bundesministerium für Frauen, Familie und Jugend legt außerdem Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der Wahrnehmung von sexuellen Übergriffen nahe: Während 100 Prozent der weiblichen Befragten aufgedrängte Küsse oder die Aufforderung zu sexuellem Verkehr als Belästigung wahrnehmen, sind es unter den männlichen Teilnehmern nur 94 Prozent. Auch andere Formen der Belästigung, wie Hinterherpfeifen oder anzügliche Bemerkungen, werden von Frauen deutlich öfter als solche benannt.

Folgen für Betroffene

Auch in Zeiten von Corona und Homeoffice finden ungewollte Annäherungsversuche im Job statt. Die Verlagerung des Arbeitsplatzes in den privaten Bereich und die Verkleinerung von Teams hätten teilweise sogar zu vermehrter Belästigung beigetragen, wie aus der Beratungstätigkeit der Gleichbehandlungsanwaltschaft hervorgeht. Für viele sei es in dieser Situation noch schwieriger, dagegen vorzugehen, und sie würden sich oft alleingelassen fühlen.

Die Folgen für Betroffene können psychosomatische Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Angstzustände oder Panikattacken sein. Belästigungen wirken sich aber nicht nur auf den Körper und die Psyche aus, sondern auch auf die Arbeitsleistung – von verringerter Arbeitsmotivation bis hin zur Arbeitsunfähigkeit.

Was hilft?

Manuel Bräuhofer, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Diversity Think Tank, sieht vor allem Arbeitgeber stärker in der Pflicht. Gemeinsam mit dem Lebensmittelhändler Billa habe man im Jahr 2020 das Thema Diskriminierung in einem Lehrlingsprojekt in den Fokus gerückt.

Die Learnings des Projekts wurden am 26. Jänner im Rahmen des Diversity-Breakfast vorgestellt. Daraus abgeleitet nennt Bräuhofer Maßnahmen, die Firmen zur Vermeidung von sexueller Belästigung ergreifen können und sollten:

  • Nicht wegschauen: Der erste und zugleich wichtigste Schritt sei, das Thema aktiv in der Firma anzusprechen: Was gilt als Belästigung, und wie reagiere ich richtig? Dabei sollen alle Führungskräfte und Mitarbeitenden einbezogen und sensibilisiert werden.
  • Ansprechpersonen in der Firma: Die Auswahl der Ansprechpersonen sei entscheidend, sagt Bräuhofer. Vor allem wenn es um sensible Inhalte gehe, sollten Betroffene die Möglichkeit haben, mit jemandem zu sprechen, dem sie sich anvertrauen können. Ansprechpartnerinnen und -partner sollten auch abseits der Personalabteilung zu finden und gut geschult sein.
  • Anonymes Meldesystem: Neben Ansprechpersonen sollten Firmen auch ein anonymes Meldesystem einrichten, beispielsweise ein digitales Postfach. Einerseits wird dadurch der Zugang zu Hilfe niederschwelliger, andererseits gibt es Betroffenen und Zeugen mehr Sicherheit, sollten sie sich vor möglichen Konsequenzen fürchten.
  • Ein Zeichen setzen: Ob durch Infoplakate im Pausenraum, eine E-Mail an alle Beschäftigten oder ein Eintrag im Intranet: Firmen müssen klar kommunizieren, dass sexuelle Belästigung nicht geduldet wird, und Betroffene über Hilfsangebote informieren. (Anika Dang, 7.2.2022)