Bevor die Produkte der Hersteller im Einkaufswagen landen, wird oftmals beinhart verhandelt.

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Wien – Er sei seit mehr als 40 Jahren im Geschäft, Managern österreichischer Supermarktketten fühle er sich dennoch völlig ausgeliefert, sagt ein Landwirt. Er könne verstehen, dass Unternehmern, die wie Karl Schirnhofer um ihre Existenz fürchten, die Sicherungen durchbrennen.

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Preisverhandlungen im Handel sind nichts für schwache Nerven.
Frederic Cirou

Anders als der steirische Fleischer, der Rewe unverblümt attackiert, wagt es der niederösterreichische Biobauer nicht, sich offen gegen die Begehrlichkeiten großer Handelskunden zu wehren. Schon einmal sei er nach der Bitte um höhere Preise für ein Jahr aus den Regalen geflogen, was ihn ein Drittel des Jahresumsatzes kostete, erzählt er. Mucke er auf, wenn ihm teure Auflagen auferlegt werden, weise man mit dem Zeigefinger auf eine Fülle von Konkurrenzware aus dem Ausland, die sich offenbar glänzend verkaufe.

Der Wink mit dem Zaunpfahl: "Als Kleiner brauche ich mich gar nicht erst anzustellen." So fleißig der Handel mit regionalen Biolieferanten werbe – ehe man es sich versehe, werde man durch internationale Anbieter ersetzt.

Natürlich habe er versucht, sich unabhängiger vom Geschäft mit Supermärkten zu machen. Eigene Vertriebswege müsse man sich aber erst einmal leisten können. "Nur weil ich Gutes produziere, heißt das noch lange nicht, dass ich mich gut vermarkten kann."

Ausgequetscht

"Als Einkäufer großer Lebensmittelketten bis du den Job los, quetscht du nicht das Letzte aus Lieferanten heraus", ist sich ein oberösterreichischer Produzent, der ebenfalls nicht genannt werden will, sicher. Er berichtet von scheibchenweisen Rabatten, die der Handel seinen Partnern jährlich abringe. "Da sitzt du zwei, drei Managern gegenüber, die dir sagen, was Sache ist. Stellst du dich quer, weil du es finanziell nicht mehr packst, heißt es: Passt, danke, rechnen Sie mit Auslistung."

"Kopf hoch, Mund auf‘ spielt es nicht. Da bist kein Kaiser mehr", ergänzt ein Lieferant, der zu den Platzhirschen seiner Branche zählt. Wie er versuchten viele alteingesessene Lebensmittelhersteller, ihre Nachfolge zu regeln. "Zu starker Druck von oben ist hier tödlich."

Jahresgespräche mit Konzernen wie Spar und Rewe, in denen um Preise und Konditionen gefeilscht wird, sind nichts für schwache Nerven. Es gab Zeiten, da trieben Österreichs Supermärkte ihre Machtdemonstrationen an die Spitze. Bewährte Partner konnten nicht mehr mit, Kartellwächter wurden hellhörig. Der Handel lernte dazu, eine neue Generation an Managern übernahm das Ruder.

Wer bestimmt, was die Österreicher auf den Teller bekommen?
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Mittlerweile jedoch hat sich der Ton wieder verschärft. Katharina Koßdorff, Chefin des Verbands der Lebensmittelindustrie, nannte diesen jüngst "grenzüberschreitend und brutal". Klar schenke sich keine Seite was, hält Nicole Berkmann, Sprecherin der Spar-Gruppe, entgegen. "Wir stehen aber vor einer noch nie da gewesenen Teuerungswelle." Auch auf den Handel sei der Druck so hoch wie nie. "Es ist unsere Aufgabe, hart zu verhandeln und Preise für Konsumenten niedrig zu halten."

Stärke im Kräftemessen mit Lieferanten schöpfen Lebensmittelhändler vielfach aus eigenen Produktionen rund um Fleisch, Brot oder Wein. Nach Spar hat auch Rewe in Österreich in Fleischwerke investiert, was Schirnhofer zum Verhängnis werden könnte.

Rewe will nicht länger ihn als Verarbeiter – sondern nur die Almochsen seiner knapp 500 Bauern, mit denen er seit Jahrzehnten zusammenarbeitet. Weigert er sich, die Zerlegung an seinen größten Kunden abzutreten, fürchtet er, sämtliche Rewe-Aufträge zu verlieren, was das Ende seines Betriebs einläutet. Ob es ein Fall von Erpressung ist, wie Schirnhofer behauptet, werden die Gerichte klären.

Händler als Produzenten

Woher rührt dieser Appetit des Handels auf eigene Fertigungen? Sie heben ihn von Rivalen ab, verschaffen Unabhängigkeit von Markenherstellern und Einfluss auf Erzeugerpreise. Lieferanten werden leichter austauschbar.

Historisch ist der Handel als Bauer rasch erklärt. Als es an Bäckern und Fleischern noch nicht fehlte, verkauften Supermärkte nur trockenes Sortiment. Da Kunden mehr aus einer Hand wollten, holten sie Frisches in die Regale. Und weil Gewerbebetriebe oft nicht willens waren, sie zu ihren Vorgaben zu beliefern, investierte der Handel in eigene Fabriken. Zugleich ermöglichten Abnahmeverträge Zugriff in die Fertigung.

Mittlerweile sind Gemüsefelder und Glashäuser quer durch Europa ebenso in Hand der Branche wie Schweine- und Geflügelställe.

Verlust der Vielfalt

Doch was wirtschaftlich für Händler Sinn hat, birgt Risiken. Was, wenn Vielfalt verschwindet und immer weniger Konzerne diktieren, was Konsumenten auf den Teller bekommen? VP-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger ortet ein "schizophrenes, absurdes System", das Bauern unter Druck setzt.

Dass es so weit kam, daran trägt die Politik Mitschuld. Rund 90 Prozent des Lebensmittelhandels in Österreich sind in Hand von Spar, Rewe und Hofer. Übernahmen wurden durchgewinkt, Kartellgesetze zu spät an EU-Standards angepasst. Das Trio wuchs rasant und pflasterten den Markt mit Filialen zu.

Gemeinden widmeten fleißig grüne Wiesen in Gewerbegebiete um. Die Raumordnung ließ das freie Spiel der Kräfte zu. Konsum wurde nach seiner Pleite unter Rewe und Spar aufgeteilt. Die Insolvenzen von Meinl, Löwa, Zielpunkt dienten beiden ebenso. Auch als Rewe Adeg schluckte, schrillte keine Alarmglocke.

Die Inflation ist hoch, auf den Handel rollt eine Teuerungswelle zu.
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Im Groß- wie im Einzelhandel geben Spar und Rewe den Schritt vor. In der Gastronomie sind sie ebenso dominant wie an Tankstellen. "Jeder hat versucht, den Kuchen auf seine Seite zu holen", erläutert Christof Kastner, Vizeobmann des Lebensmittelhandels in der Wirtschaftskammer. "Es liegt in der Natur der Sache, dass hoch konzentrierte Märkte gewisse Dynamiken entwickeln."

Wettrüsten

Größe half dabei, der Industrie ihre Gewinne abzuräumen – Kunden profitierten davon. Der Wohlstand einer Gesellschaft ist auch sinkenden Lebensmittelkosten zu verdanken.

Die Industrie konzentrierte sich in Riesen wie Nestlé und Unilever. In Österreichs Milchwirtschaft wuchs Berglandmilch zum Marktführer heran. Unterm Strich blieben Produktionsstrukturen im Vergleich zu anderen EU-Ländern aber klein. Österreich heftet sich diese regionalen Betriebe stolz auf die Fahnen.

Doch vielen fehlt Kapital für eigene Marken, Filialen, Direktvertrieb und Exporte. Für Supermärkte wurde es ein Leichtes, sie gegeneinander auszuspielen. In die Bredouille gerieten vor allem jene, die Rohstoffe erzeugen, die im Überfluss vorhanden sind. Dass konventionelle Milch und Schweinefleisch weit abseits von Bio teilweise zu Dumpingpreisen verschleudert werden, ist aber nicht nur Supermärkten zuzuschreiben: Sie nehmen Bauern allein sechs Prozent der Rohstoffe ab. Die Preise dafür werden international gemacht.

Mauer des Schweigens

Die Marktmacht des Handels äußert sich in Spielarten, die selten schriftlich niedergehalten und fast nie juristisch bekämpft werden. Berüchtigt sind Boni rund um Fusionen und Geburtstage. Gebühren für Listung und Werbung, rückwirkende Rabattforderungen, Auftragsstornos in letzter Minute, Ersatzlieferungen, Rücknahme verderblicher Ware: An Instrumenten, um Partner einzuschüchtern, fehlt es nicht. "Letztlich gehören aber immer zwei dazu – vor allem einer, der dem zustimmt", resümiert ein betroffener Unternehmer.

Erinnerungen an Neuburger stecken Lieferanten in den Knochen: Der Feinkosthersteller wurde einst nach Differenzen zwei Jahre lang ausgelistet, was ihn dazu zwang, Jobs abzubauen. Auch Ottakringer drohten Sanktionen, als die Brauerei es wagte, Bier unter ihrer Marke auch an den Diskonter Hofer zu verkaufen.

Wettbewerbshüter, die versuchen, Licht in Gängelungen zu bringen, stoßen auf eine Mauer des Schweigens. Ab März soll eine neue Ombudsstelle, an die sich Lieferanten anonym wenden können, Missbrauch entlang der Wertschöpfungskette reduzieren.

Für Schirnhofer kommt diese zu spät. (Verena Kainrath, 5.2.2022)