Happy Pills oder Smart Pills: Mittel, die kognitive Funktionen beeinflussen, gibt es schon lange – wenn auch nicht so bunte.

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Müde? Unkonzentriert? Dauerangespannt? Da ist oft schnelle Hilfe gefragt. Viele greifen zu Kaffee, Yoga oder zur Zigarette, manch andere zu sogenannten Happy Pills oder Smart Pills – oder gleich stärkerem Stoff. Die Verkaufsdaten der österreichischen Apotheken zeigen jedenfalls: Der Umsatz von rezeptfreien Schlaf- und Beruhigungsmitteln sowie Stimmungsaufhellern ist seit Pandemiebeginn stetig angestiegen.

Wenn an sich gesunde Menschen versuchen, ihre geistige Leistungsfähigkeit oder seelischen Befindlichkeiten mithilfe von psychoaktiven Substanzen positiv zu beeinflussen, spricht man von Gehirndoping oder, etwas wissenschaftlicher, von Neuro-Enhancement. Die beiden Begriffe sind nicht eindeutig definiert und sehr breit gefasst.

Ganz legale Substanzen wie Koffein und Energydrinks können genauso darunterfallen wie verschreibungspflichtige Medikamente, die nicht zu medizinischen Zwecken eingenommen werden – sondern um länger wach und konzentriert bleiben zu können, Gedächtnis und Motivation zu verbessern. Also auch, um auf Partys lockerer zu sein, nächtelang durchzuarbeiten oder lernen zu können. Nicht von ungefähr wird Gehirndoping häufig mit Programmierern, Ärzten und Silicon-Valley-Managern in Zusammenhang gebracht.

"Diese Versuche der Leistungssteigerung und Selbstoptimierung spielen inzwischen im Studium, im Beruf, aber auch im ganz normalen Alltag von Menschen eine oft unterschätzte Rolle", sagt Kurt Fellöcker, Leiter des Lehrgangs Suchtberatung und Prävention an der Fachhochschule St. Pölten. Er und sein Team haben kürzlich eine Tagung zum Thema Gehirndoping und den damit verbundenen Gefahren organisiert.

Ritalin, Speed, Benzos

Zu den häufigsten stimulierenden Medikamenten gehören Methylphenidat, deren bekanntester Vertreter Ritalin ist, und das Aufputschmittel Modafinil. Dazu kommen Drogen wie Kokain und Amphetamine – auch in Form von Speed, Ecstasy und Crystal Meth. "Weniger bekannt sind Antidementiva, die gegen Demenzerkrankungen wirken, aber auch die Konzentration verbessern sollen, und Betablocker, die an sich gegen Bluthochdruck verwendet werden, aber auch zur Entspannung und zum Runterkommen eingesetzt werden", sagt Fellöcker. Wie auch Antidepressiva, Hypnotika wie Benzodiazepine – und nicht zuletzt Cannabis.

Besonders der Konsum von beruhigenden Substanzen dürfte durch die Pandemie Aufwind bekommen haben. "Wir schließen ein wenig an die 1950er-Jahre an, was den Gebrauch psychoaktiver Substanzen betrifft", sagt Alfred Springer von der Fakultät für Psychotherapiewissenschaft der Sigmund Freud Privatuniversität Wien. "Wir erleben ein neues Zeitalter der Angst, in dem Sedativa und Tranquilizer wie auch Cannabis wieder eine größere Rolle zu spielen scheinen."

Standen die Nachkriegsjahre im Zeichen der Angst vor einer atomaren Bedrohung und einem Kalten Krieg, ist es heute das Virus mit all seinen Kollateralschäden, das mit einem erhöhten Bedürfnis nach angstlösenden, beruhigenden Mitteln einhergeht. Die Entwicklung der modernen Beruhigungsmittel, wie Benzodiazepine, aber auch Antidepressiva und Antipsychotika, fällt schließlich nicht von ungefähr in die 1950er-Jahre, wie Uhl anlässlich der Tagung ausführte.

Kiffen in der Krise

Valide Daten darüber, wie viele Menschen mit psychoaktiven Substanzen ihrem Gehirn auf die Sprünge helfen, gibt es kaum (siehe Wissen), ebenso wenig darüber, wie sich der Substanzenkonsum während der Corona-Pandemie verändert hat.

Hinweise gab zuletzt eine Studie des niederländischen Gesundheitsministeriums mit mehr als 28.000 Studierenden, die in der dritten Covid-Welle zwischen März und Mai 2021 durchgeführt wurde. Demnach litten mehr als die Hälfte der Befragten unter Einsamkeit, Leistungsdruck, Stress und Schlafproblemen – beträchtlich mehr als vor der Pandemie.

Dabei berichteten Studierende, die regelmäßig Cannabis oder konzentrationssteigernde Mittel konsumierten, häufiger von derartigen psychischen Problemen. Zwar ergab die Studie, dass aufgrund der geschlossenen Lokale zum Teil weniger Alkohol und Ecstasy konsumiert wurde. 28 Prozent der Cannabisnutzer (die wiederum ein Drittel aller Befragten stellten) gaben allerdings an, aufgrund der Corona-Krise ihren Konsum gesteigert zu haben.

Von Coca-Wein zu LSD

Fest steht, dass das Phänomen der Beeinflussung der neurologischen Mechanismen kein neuer Trend ist, wie oft suggeriert wird. Vielmehr wurde lange Zeit kaum eine Unterscheidung gemacht zwischen dem Gebrauch von Drogen und psychoaktiven Substanzen als Medizin oder zur Freizeitgestaltung und Motivation.

"Coca und Kokain waren Konsumgut und Arzneimittel zugleich", sagt Alfred Springer, der zur historischen Entwicklung von Neuro-Enhancement forscht. Der Vin Mariani, ein Wein mit Coca-Extrakten, wurde im 19. Jahrhundert als leistungssteigernd, euphorisierend, kreativitätsfördernd, potenzsteigernd und heilsam beworben – von prominenten Testimonials aus Adel, Klerus, Wissenschaft und Kunst. "Das Fin de Siècle war der heutigen Zeit sehr nahe, was Selbstoptimierung und Selbstreklame angeht", sagt Springer. Der Coca-Wein wurde auch in Schulen eingesetzt – sozusagen als Vorläufer von Ritalin.

Bekanntermaßen setzte die US-Armee im Zweiten Weltkrieg auf Amphetamine, um Piloten länger wach zu halten, die Wehrmacht verteilte das Methamphetamin Pervitin, das zusätzlich eine euphorische und mutmachende Wirkung hatte.

Nachdem in der Nachkriegszeit Psychopharmaka wie Valium das Mittel der Wahl waren, übernahmen in den 1970er-Jahren Psychedelika den Diskurs in Medizin und Populärkultur. "Bei der LSD-Bewegung ging es um Erweiterung und Vertiefung, zuerst einmal des Bewusstseins und der Kreativität, aber auch der kognitiven Leistungen", sagt Springer. Die 1980er-Jahre waren geprägt von Neokonservatismus und subversivem Gebrauch, ab den 1990er-Jahren begann Springer zufolge das Zeitalter der Neurokultur, in dem stimulierende Substanzen zu den Leitdrogen einer immer stärker leistungsorientierten Gesellschaft wurden.

Psychedelische Renaissance

Auf erste Experimente in den 1960ern geht auch die Forschung zu mikrodosiertem LSD oder Psilocybin, dem Wirkstoff von halluzinogenen Pilzen, zurück. Seit etwa zehn Jahren erlebt die Mikrodosierung von Drogen eine Renaissance. Dabei wird eine sehr kleine Menge der Substanz eingenommen, was helfen soll, sich besser zu konzentrieren, kreativer zu arbeiten, und außerdem Depression und Angstzuständen entgegenwirken kann – ganz ohne Trip, der Halluzinationen auslösen würde. Noch sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu allerdings eher bescheiden.

Neues Interesse ist auch im Zuge von Covid-19 aufgetaucht: Im Rahmen des britischen Microdosing Research Programme wird untersucht, ob die Mikrodosierung von Psilocybin bei der Behandlung von pandemiebedingten Angstzuständen hilft, wie Springer berichtet. Weitere großangelegte Studien sollen die längerfristige Wirkung von Mikrodosierung erforschen.

Generell sind signifikante Effekte von Hirndoping auf die kognitive Leistungsfähigkeit kaum nachweisbar, weder bei Energydrinks noch bei Amphetaminen. Die Wirkung der Neuro-Enhancer kann im Einzelfall sehr unterschiedlich ausfallen. Meist überwiegen negative physische und psychische Begleiterscheinungen, von der leichtfertigen Einnahme psychoaktiver Substanzen raten Fachleute dringend ab.

Die Grenzen zwischen Neuro-Enhancement und medizinischer Behandlung sind jedenfalls fließend, weshalb auch die Forschung nach neuen Ansätzen sucht. Gehirndoping sollte klar bei der Suchtprävention angesiedelt sein, forderte der theoretische Psychologe Stephan Schleim, der sich schon lange mit dem Thema beschäftigt, am Rande der Tagung. Anstatt von Neuro-Enhancement sollte man besser von "instrumentellem Substanzkonsum" sprechen, da Menschen aufgrund ganz unterschiedlicher Bedürfnisse zu verschiedenen Mitteln greifen.

In Zukunft könnten diese Mittel auch Technologien statt psychoaktive Substanzen sein, etwa elektrische Stimulationen. Oder eine implantierte Computerschnittstelle, wie sie Elon Musks Firma Neuralink entwickelt – und die das Denken direkt auf Trab bringen soll. (Karin Krichmayr, 14.2.2022)