Das hatte man ihm gar nicht zugetraut. Ein einfacher grauer Pullover sorgte in den vergangenen Tagen für Wirbel. Das lag natürlich an dem Mann, der in ihm steckte. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz reiste zu seinem Antrittsbesuch in die USA, begleitet wurde er von einem Tross Journalisten und Journalistinnen.

Scholz tat, was weder Merkel noch Kohl oder Helmut Schmidt je gewagt haben: Der Neue griff im Flieger zu bequemer Reisebekleidung, jenem grauen Schlabberpulli mit überschnittenen Schultern und halsfernem Rundhalsausschnitt. Der Zeitgeist hat sich schließlich geändert. Das tragen doch heute selbst Superstars in der Businessklasse. Oder etwa nicht?

Locker vom Hocker: Olaf Scholz auf dem Weg zu Joe Biden.
Foto: APA/dpa/Kay Nietfeld

Die Reaktionen machten aber klar: Für Spitzenpolitiker gelten in luftiger Höhe andere Gesetze. Schuld waren die Bilder, die kurze Zeit später über die Agenturen und Social Media verbreitet wurden. Sie erzählten: "Ich bin's, Olaf, der Reiseleiter." Oder "Darf ich vorstellen: Volksschullehrer Scholz". Genauso gut hätte der Mann im grauen Pulli der Nachbar, der eben noch den Müll rausbringen will, sein können.

Wurde Scholz' legere wie pragmatische Reisegarderobe früher nicht sonderlich harsch kommentiert, hieß es jetzt: völlig falsche Botschaft für einen Bundeskanzler, der gerade für seine mangelnde internationale Präsenz kritisiert wird. Die "FAZ" betitelte eine Stilkritik mit der süffisanten Frage: "Eine Nummer zu groß?"

Immerhin, die SPD nahm das Outfit mit Humor: "If you're going to Washington D.C. be sure to wear some pulli in the air."

Auch auf Twitter und Instagram bereitete das wurschtelige Kleidungsstück Vergnügen. Erinnert dessen Schnitt nicht an Til Schweigers Kuschelpullover aus dessen Barefoot-Kollektion? Und trug nicht schon Ronald Reagan in der Achtzigern auf Langstreckenflügen Jogginghose?

Wahrscheinlich ist an dem Wirbel um Olaf Scholz' Pullover irgendwie Angela Merkel schuld. Seine Vorgängerin hielt im Job eisern an ihren Blazern fest. Modische Überraschungen hatte sie sich nach Dekolleté-Auftritten in Oslo und Bayreuth abgewöhnt.

Nun scheint sich zu bestätigen, dass die Deutschen an der Spitze einen 007 wollen, der stets im Anzug unterwegs ist und signalisiert, die Dinge im Griff zu haben. In Österreich weiß man es mittlerweile besser. Auch Hemd und Kragen können trügen, und wie! (Anne Feldkamp, 9.2.2022)