Hi %user_name%, ich kontaktiere dich im Namen von Boca Jewelry. Die würden dir gerne kostenlos Produkte im Gegenzug zu Posts anbieten." Das Angebot poppt in meinen Instagram-Nachrichten auf, geschickt von einem Account namens "iranbomb555". Ich müsste Boca Jewelry lediglich eine Nachricht schreiben, und schon könne es losgehen.

Eine erste Kontaktaufnahme über Dritte.
Screenshot: Pollerhof

Ganz klar Spam, oder? Klickt man auf den Account von Boca Jewelry, findet man hochwertige Fotos von schick gekleideten Männern, die neben teuren Luxusuhren auch die Armbänder von Boca tragen. Und auf den markierten Fotos sieht man, wie viele Menschen den kostenlosen Schmuck bekommen haben. Vielleicht ist es ja doch seriös ...

Der Schriftsteller und Komiker James Veitch hielt 2015 einen Ted-Talk darüber, wie er auf eine Spammail antwortete und sich daraus ein herrlich komischer Mailverkehr entwickelte. Vielleicht geht so etwas auch mit Instagram-Influencer-Anfragen, denke ich mir. Im schlimmsten Fall bekomme ich kostenlosen Schmuck. Eine Win-win-Situation.

Also schreibe ich an Boca Jewelry. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Man würde mir gern Schmuckstücke zukommen lassen, dafür müsste ich lediglich ein paar Fotos damit auf meiner Seite hochladen und ihnen auch welche davon schicken. "Na klar", antworte ich. Die nächste Nachricht, eine genaue Erklärung, was zu tun ist, kommt erschreckend schnell und ist sicher Copy-and-paste.

Nachricht von Boca: Kostenloser Schmuck und ein Rabattcode – klingt eigentlich verlockend.
Screenshot: Pollerhof

Man schickt mir den Link zu der Ambassador-Seite. Bei den Preisen zieht es mir die Schuhe aus. Die "Golden Bullion Pendant" kostet 229,99 US-Dollar, das "Iced Tennis Bracelet" 199,99 US-Dollar. Und das wollen die mir schenken? Damit ich es bei meinen mickrigen 700 Followerinnen und Followern bewerbe?

Ich lade den Warenkorb voll, nutze meinen Ambassador-Code, und schwups, springt der Rechnungswert auf Null. Alles, was ich bezahlen müsse, seien Versand und Versicherungen. Ich werde skeptisch. Ehe ich das jetzt bestelle und nachher auf rund 600 US-Dollar sitzenbleibe, schaue ich besser erst nach, wer diesen Schmuck bekommen hat.

Unter einem der markierten Beiträge sticht mir ein Kommentar ins Auge: "Don’t do it, it’s a scam!" Ich schreibe den Verfasser an und frage nach. Er erzählt, dass der Schmuck gar nicht von der Seite sei, sondern von einem Billig-Großhandel in Asien. Dass Boca zwar den Schmuck kostenlos anbiete, die Lieferkosten allein aber reichen würden, damit sie Profit machen.

40 Euro Lieferkosten

Ich lasse meine Bestellung ruhen und mache mich auf die Suche. Anhand des "Iced Tennis Bracelets" für fast 200 US-Dollar versuche ich der Sache auf den Grund zu gehen. Ich nehme das professionell aufgenommene Produktbild, jage es durch die Google-Bildersuche und – tada! – finde dasselbe Armband für vier Euro auf joom.com, einem Online-Versandhaus für alles, was günstig und billig ist. Als Materialangabe ist nur "Legierung" und "künstlicher Kristall" zu lesen.

Zwei Beispiele von vielen:
Sowohl das "Alexa"-Armband von Freya als auch das "Iced Tennis Bracelet" von Boca Jewelry lässt sich auf anderen, günstigeren Seiten finden.
Screenshot: Pollerhof
"Alexa" gibt es sogar für nur 0,18 US-Dollar das Stück.
Screenshot: Pollerhof

Die Lieferkosten nach Österreich, die mir am Ende des Boca-Warenkorbs angezeigt werden, belaufen sich auf zehn US-Dollar – pro Stück. In meinem Fall, zwei Ketten und zwei Armbänder, insgesamt 40 US-Dollar. Ein lukratives Geschäft, wenn man bedenkt, dass die Produkte nur einen Bruchteil kosten. Woher die Produkte geschickt werden, steht nicht auf der Seite. Es gibt kein Impressum.

Screenshot: Pollerhof
Das "Iced Tennis Bracelet" findet man für vier Euro auf joom.com.
Screenshot: Playstation

Doch meinem Informanten geht es noch um etwas anderes: "They basically want you to fuck over your friends!", schreibt er. Frei übersetzt: "Die wollen, dass du deine Freunde verarschst!" Wer Schmuck von Boca zugeschickt bekommt, der erhält auch einen Rabattcode, den er an seine Followerschaft weitergeben kann. 25 Prozent. Nicht schlecht. Zumindest solange niemand weiß, dass das Armband normalerweise vier statt 199,99 Dollar kostet.

Wer sich auf das Angebot einlässt, postet nicht nur Fotos, sondern bekommt in den Kommentaren auch von vielen anderen ähnlichen Seiten Kooperationsanfragen. Dabei geht es oft um Schmuck, manchmal auch um Klamotten. Kein Wunder, Boca Jewelry hat fast 100.000 Followerinnen und Follower. Das schindet Eindruck.

Über solche Deals können die Social-Media-Managerinnen Ann-Katrin Schmitz und Alina Heiner nur den Kopf schütteln. Erfahrungen haben sie mit dieser Art von Betrug nicht – dafür sind ihre Kundinnen und Kunden zu erfolgreich. Aber sie können mir sagen, wie so ein Deal normalerweise abläuft.

"Der erste Schritt ist es, sich eine Nische zu suchen. Natürlich spielt dann auch die Qualität des Contents eine wichtige Rolle und die Fähigkeit, mehrere Kanäle zu bedienen. Dann lässt sich schon mal eine Community aufbauen", erklärt Ann-Katrin Schmitz, Social-Media-Managerin.
Foto: privat

"Ich mache für meine Kundinnen und Kunden keine Deals über Instagram-Nachrichten", sagt Schmitz, die nicht nur Social-Media-Workshops für Unternehmen anbietet, sondern auch Influencerinnen und Influencer unterstützt. "Das passiert entweder per Mail oder gar nicht." Generell würde sie auch von allen Deals abraten, bei denen man investieren muss. "Wenn man als verhältnismäßig kleiner Content-Creator in ein Hotel eingeladen wird und die Anbieter sagen dann, dass man aber die Reisekosten selbst tragen muss, ist das auch schon ein Ausschlusskriterium", sagt sie. Kostenlos Schmuck bekommen und nur die Versandkosten bezahlen? Finger weg!

Auch Heiner warnt vor den versteckten Kosten. Sie ist Gründerin der Social-Media-Agentur maven vienna und unterstützt auch Influencerinnen und Influencer bei der Arbeit und bei Kooperationen mit Firmen. "Dazu kommt ja noch, wenn die Ware beim Zoll landet und die sehen, der Schmuck hat einen Warenwert von mehreren Hundert Euro, dann kann es gut sein, dass man noch ordentlich bezahlen muss, wenn man es abholt", sagt sie.

Kleine Content-Creators anfällig

Eine andere Masche sei das Affiliate-Marketing von solchen Seiten. "Manche bieten dir auch eine Geldprovision an, wenn jemand deinen Link oder deinen Code benutzt. Davon würde ich bei solchen Seiten auch abraten, weil so was immer transparent ablaufen muss und das in den Fällen meist nicht der Fall ist", sagt Schmitz. Auch ich habe in meinen Nachrichten Anfragen, die mir zehn Pfund für jeden eingelösten Rabattcode bieten.

Generell sei die Branche zu professionell geworden, als dass so etwas mit großen Influencerinnen und Influencern gemacht werden würde, versichern mir beide. Da gibt es Verträge, genau Absprachen, was und wie viel gepostet wird, und ohne Geld, sprich nur mit Produktschenkungen, läuft in den meisten Fällen nichts.

Aber gerade deswegen seien vor allem kleine Content-Creators, wie es im Prinzip jede und jeder auf Instagram ist, so anfällig, vor allem sogenannte Nano-Influencer. Sprich Menschen, die rund 500 bis 10.000 Follower haben. "Denen fehlt die Erfahrung, wie so eine Kooperation normalerweise aussieht", sagt Schmitz. Heiner ergänzt, dass viele sich von den Anfragen geschmeichelt fühlen würden. "Wenn ich jahrelang mein eigenes Ding auf Instagram mache und jemand kommt, der mir sagt, dass das cool ist, und auch noch Geschenke anbietet, dann wäre ich ja verrückt, wenn ich da nicht einmal reinschauen würde", sagt sie.

"Wenn die Ware beim Zoll landet und die sehen, der Schmuck hat einen Warenwert von mehreren Hundert Euro, kann es gut sein, dass man noch ordentlich bezahlen muss, wenn man es abholt", sagt Alina Heiner, Chefin von maven vienna.
Foto: Stefan Hundlinger

Wenn man den Traum habe, als Influencerin oder Influencer Geld zu verdienen, sei diese Masche allerdings überhaupt nicht notwendig. "Der erste Schritt ist es, sich eine Nische zu suchen, die am besten noch gar nicht oder nur spärlich besetzt ist. Natürlich spielt dann auch die Qualität des Contents eine wichtige Rolle und die Fähigkeit, mehrere Kanäle zu bedienen. Dann lässt sich schon mal eine Community aufbauen", erklärt Schmitz.

Und diese sei für viele Firmen attraktiv. "Wenn ich eine Wien-Bloggerin vermarkte, die auf das Finden von Geheimtipps setzt, ist eine Wien-treue, wenn auch nicht riesig große Community vor allem für lokale Shops und Dienstleister Gold wert", sagt Heiner.

Keine Antwort von Boca

Dabei müsse man bedenken, dass eine größere Reichweite immer auch mit dem Verlust von Authentizität einhergehe. Außerdem sei die sogenannte Engagement-Rate höher. Sprich wer weniger Followerinnen und Follower hat, dessen Beiträge werden im Verhältnis öfter geliked und kommentiert als Beiträge von einer Followerschaft im Millionenbereich.

Und auch als Nano-Influencerin oder -Influencer sollte man sich nicht unter Wert verkaufen. "Ich hatte mal eine Anfrage von einem Unternehmen, das Beef Jerky verkauft hat – für eine Influencerin, die einen veganen Lebensstil als Konzept betreibt", erzählt Heiner. "Seriöse Marken setzen sich erst mit deinem Profil auseinander, bevor sie dich kontaktieren."

Bild nicht mehr verfügbar.

Das Social-Media-Business ist komplex, längst von Profis besetzt – und macht eine Menge Arbeit.
Foto: Getty Images

Boca Jewelry hat auf meine Anfragen nicht geantwortet. Nutzt man das Kontaktformular auf der Seite, bekommt man nicht einmal eine Bestätigungsmail.

Ich habe den Traum vom Influencer-Dasein erst einmal zu den Akten gelegt und bin froh, nicht auf eines der Scam-Angebote eingegangen zu sein. Aber vielleicht, mit der richtigen Nische, schaffe ich es ja doch noch zu Ruhm und Ehre. Zum Abschluss frage ich Schmitz noch, ab wann ich denn bei ihr als Kunde anheuern dürfe. "Wenn du eine Million Followerinnen und Follower hast, können wir gerne noch einmal reden." Das könnte dauern. (Thorben Pollerhof, 12.2.2022)