Geschichten wie die von "The Last of Us II" lassen keinen Spieler kalt und bleiben auch im Gedächtnis.

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Videospiele und gute Geschichten passen wunderbar zusammen. Das beweisen emotionale Hochschaubahnen wie in Last of Us oder epische ausformulierte Fantasien wie in Final Fantasy. Aber viele klicken die Textbausteine zwischen der Action gerne weg. Etwa Eike Cramer vom Magazin "Wasted". Er sagt: "Storys in Videospielen sind nur Ballast". Sie seien nur eine "Ablenkung vom eigentlichen Kern der Sache." Ich möchte dem widersprechen.

Gameplay first

Eine Behauptung, der wohl kein Videospieler widersprechen wird, ist: Gameplay first. Wenn die Spielmechanik stinkt, dann wird das auch nicht von einer epischen Story gerettet. Ich würde sie nämlich nicht erleben, wenn ich mich über eine dumme Steuerung, unpräzises Gunplay oder ähnliche Dinge ärgern müsste. Gut, hätten wir das geklärt.

Die Relevanz von guten Storys gilt es dennoch zu unterstreichen. Mittlerweile haben Spiele eine solche Vielfalt erreicht, die es ihnen mit unglaublich zahlreichen Stilmitteln erlaubt, eine gute Geschichte zu erzählen. Das kann opulent sein, wie in den Uncharted-Spielen. Mit Humor, der mich zum Lächeln bringt und spannenden Story-Wendungen, die mich am Joypad halten – obwohl die ewigen Auseinandersetzungen mit Dutzenden von Gegnern gegen Ende meist schon nerven.

Ähnlich aufwendig inszeniert, wenn auch mit einem eher dramatischen Ansatz, haben mich The Last of Us oder Detroit: Become Human verzaubert. Der derbe Humor und die Anspielungen auf die reale Welt haben mich die teilweise langatmigen Verfolgungsmissionen in GTA V ertragen lassen, und in Red Dead Redemption – besonders in Teil zwei – gab es neben der vielleicht besten Open World der Videospielgeschichte auch noch eine Handlung, die mich emotional bewegt hat.

Lasst uns aber auch abseits der Blockbuster über Storytelling reden. Erst kürzlich holte ich den Schleich-Puzzler Inside nach, der eine interessante, aber keineswegs komplexe Spielmechanik bot und allein durch seine Stimmung und das Andeuten einer Welt neugierig machte, wie diese Geschichte zu Ende gehen würde. This War of Mine, Spiritfarer und viele andere dienen hier ebenfalls als gute Beispiele. Die Story mag nicht ein alleiniger Grund sein, am Joypad oder Keyboard zu bleiben, aber ohne die dahinter stehenden Geschichten wären die Spiele nicht das geworden, für das sie am Ende so geliebt wurden.

Manche Spiele wären durch gute Storys vielleicht sogar deutlich besser geworden. Während etwa Splinter Cell: Conviction noch den Rachefeldzug von Sam Fisher thematisiert und der guten Spielmechanik eine Motivation gibt, scheitert die Fortsetzung Blacklist kläglich – die Mechanik bleibt quasi gleich, aber es geht um eine anonyme Terrorgruppe und viel US-Pathos, der abgehoben und oberflächlich inszeniert wird. Ähnliche Beispiele haben sich über die Jahre immer wieder gefunden, aber kommen wir – weil es noch viel wichtiger ist – auf einen anderen Punkt zu sprechen: den Spieler selbst.

Entscheidungen über Leben und Tod in einem blutigen Freiheitskampf treffen – Spiele mit starken Geschichten haben unseren Respekt verdient.
Foto: Quantic Dream

Klick mich

Gerade spiele ich ein japanisches rundenbasiertes Rollenspiel, dessen Namen ich aufgrund eines Embargos nicht verraten darf, da es noch nicht erschienen ist. In jedem Fall überschüttet mich das Spiel in der ersten Stunde mit etwa 50 Minuten Dialog. Tatsächlich interessiert mich die Geschichte um verschiedene Königreiche und kopflastige Bösewichte nur eingeschränkt – auf das Spiel habe ich mich vor allem wegen der Spielmechanik gefreut. Ich könnte dem strategischen Rollenspiel jetzt vorwerfen, seine Story sei schlecht und uninspiriert – Fans dieser Art der Erzählweise würden mich dafür wohl mit einem Controller-Kabel an den nächsten Baum knüpfen. Gut, dass die Switch keine Controller-Kabel hat.

Spiele werden mittlerweile für so viele Menschen produziert, dass man sich als Gamer natürlich in den Mittelpunkt stellen kann – schließlich zahlt man für das Spiel –, aber vielleicht ist es einfach nicht in jeder Zeile seines Programmcodes für genau die Person geschrieben worden. Metal Gear Solid muss man sicher nicht wegen seiner völlig absurden Story loben, aber offenbar hat die Serie seine Fans gefunden, die wahrscheinlich, auch wenn sie mitten in der Nacht aufgeweckt werden, erklären können, ob Solid Snake wirklich als Old Snake in Guns of the Patriots ein Comeback feierte.

Der Wahn, in Rennspiele und Beat’em-Ups komlexe Storys einzubauen, mag überzogen sein – dennoch finde ich beispielsweise Hintergrundgeschichten zu Mortal Kombat- oder Street Fighter-Charakteren spannend. Dass die Story der Spiele dann meist nicht für Kinofilme oder Serien reicht, wird immer wieder in Form von schlechten Versuchen bewiesen, aber für meine spielerische Leidenschaft reichen angedeutete Blutfehden, Liebesbeziehungen oder Familienstreitigkeiten. Ja, ihr Mishimas, euch meine ich.

In vielen Spielen, die ich über die Jahre konsumiert habe, habe ich selbst meine Geschichte schreiben dürfen. Mithilfe meiner Erlebnisse in dem Online-Rollenspiel World of Warcraft etwa, in dem ich nie eine einzige Textbox gelesen habe, könnte ich Bücher füllen und sogar Shootouts in Hunt: Showdown inspirieren am nächsten Tag zu ein paar Textnachrichten mit den Mitspielern. "Weißt du noch, wie wir das andere Team in dieser Scheune eingekreist haben?" Kopfkino nennt man das wohl.

In vielen Spielen kann ich mir parallel zu der bestehenden Geschichte meine eigene schreiben.
Foto: Activision Blizzard

Eike vs. Alex

Eike beendet seinen Text mit dem bereits erwähnten Zitat "Gameplay First". Pacman- und Space Invaders-Fans werden zustimmend nicken und auch jene Spieler, die müde vom Wegklicken langweiliger Textboxen oder mittelmäßig eingesprochenen Sprachaufnahmen sind.

Ich selbst liebe gute Geschichten und empfinde sie als gleichwertige Motivationsstütze zu einer guten Mechanik, ein Spiel beenden zu wollen. Dass ich mit dieser Argumentation viel mehr Werke wie God of War Ragnarök meine als Simulationen wie Gran Turismo 7, sollte selbstverständlich sein. (Alexander Amon, 13.2.2022)