Ein erfolgreiches Experiment findet nach pandemiebedingten Absagen wieder live statt: Clara Frühstück und Popmusiker Oliver Welter geben am Montag die "Winterreise" im Radiokulturhaus.

Foto: Ingo Pertramer

Fremd bin ich eingezogen, / fremd zieh ich wieder aus ..." Die Winterreise von Wilhelm Müller (Text) und Franz Schubert (Musik) handelt ja unter anderem davon, dass ein fahrender Geselle aufgrund einer glücklosen Liebe, wegen kalter Füße oder dank einer grundsätzlichen existenziellen Unrast schon im Winter, und nicht wie damals üblich erst im Frühjahr, den Dienstherrn wechselt. Beim "Liebchen" könnte es sich natürlich auch um eine "Dirne" handeln und der Zuhälter Probleme wegen der erträumten Eheschließung machen.

Fakt ist, unser meist über Moll-Akkorden klagender Protagonist gibt heimlich in der Nacht Fersengeld, weil man ihn "hinausgetrieben" habe. Kann man so sehen, es glaubt halt nicht jeder dem selbstmitleidigem Feigling. Draußen in der Dunkelheit malt er dem Schatzi jedenfalls noch ein Emoji auf das Haustor – und ab geht es in die Kälte: "Die Liebe liebt das Wandern; Gott hat sie so gemacht / Von einem zu dem andern / Fein Liebchen, gute Nacht!" Gott, was für ein Mistkerl. Himmel, was auch für eine elende, kalte Welt. Seelen- und Winterlandschaft werden im Zeitalter der Romantik, die als Fluchtpunkt mit der Industrialisierung zusammenfällt, bei Müller/Schubert im Jahr 1827 eins. Die Kälte kriecht bis zur finalen Todessymbolik in Der Leiermann noch fast durch jedes Lied.

Herzerweiterung

Der mit 24 Stücken meistgespielte beziehungsweise -interpretierte Liederzyklus der Geschichte erfuhr in letzter Zeit gleich eine dreifache Neusichtung, vor allem in Österreich. Roland Neuwirth, der mit seinen Extremschrammmeln als Ahnherr des neuen Wienerlieds gilt, dichtete seine Winterreise, die er als mutig raunzender Sänger mit dem Pianisten Florian Krumpöck einspielte, 2020 sehr souverän in den Wiener Dialekt um: "Ois Fremda bin i kumman / fremd muss i wieda furt / hob glaubt der schene Summa / da bleib i ewig durt."

Er holt das Kunstlied damit sozusagen auf den Boden der Wiener Vorstadt zurück, in der sich Schubert bewegte. Er vermeidet aber mit der Beibehaltung der Originalmusik vom Blatt geschickt die anbiedernde Austropop-Falle.

Zu der 2021 auf zehn Songs abgespeckten Version Lass irre Hunde heulen des deutschen Popmusikers Gisbert zu Knyphausen und des klassischen Pianisten Kai Schumacher lässt sich nur eines sagen: Operation gelungen, Patient tot. Loungige und faul gesungene Popmusik trifft die Sache nicht wirklich.

Winterreise: Welter & Frühstück

Bevor im Mai das dazugehörige Album Winterreise erscheint, sei die Arbeit des heimischen Popmusikers Oliver Welter von den melancholischen Herzerweiterern Naked Lunch besonders hervorgehoben. Kommenden Montag wird er nach einer pandemiebedingten Absagereihe für das Wiener Burgtheater seine gemeinsam mit Grenzlandpianistin Clara Frühstück unternommenen mutigen Sichtungen des Liedguts im sehr wahrscheinlich ausverkauften Wiener Radiokulturhaus zum Besten geben. Zwischen Werktreue, ruppiger elektrischer Gitarre, harscher Elektronik und Gesang am Limit vermag das Duo das Publikum derzeit am nachhaltigsten zu erschüttern. (Christian Schachinger, 12.2.2022)