Der Rechtsanwalt Johannes Pepelnik begrüßt im Gastblog das Rücksichtnahmegebot, bezweifelt aber eine Verhaltensänderung von Verkehrsteilnehmenden.

Die englische Höflichkeit wird in den neuen Empfehlungen des Highway-Codes vorbildlich umgesetzt. Der neue britische Highway-Code setzt vieles von dem um, was hierzulande nur Wunschdenken ist. Obschon es in England keine Überraschung ist, sondern nur die Festschreibung der langjährigen Gerichts- und Verwaltungspraxis.

Das tragende Grundprinzip ist, dass die schwächeren vor den stärkeren Verkehrsteilnehmenden geschützt werden müssen. Kinder, alte und eingeschränkte Menschen stehen an der Spitze der Schutzhierarchie, gefolgt von Fußgeher:innen, Radfahrer:innen, Reiter:innen und Motorradfahrer:innen.

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Fahrradfahrerin am Londoner Trafalgar Square. Bei Kreuzungen haben Fahradfahrer:innen laut dem Highway-Code nun Vorrang.
Foto: REUTERS/MAY JAMES

Am Ende der Hackordnung

Der Highway-Code ist überschrieben mit dem Grundprinzip, dass "die Sicherheit gefördert und gleichzeitig ein gesundes, nachhaltiges und effizientes Fortkommen gefördert wird". Die Zielbestimmungen der Nachhaltigkeit, der Effizienz und der allgemeinen Gesundheitsförderung sind der österreichischen Straßenverkehrsordnung bislang leider fremd.

Der "Stern" titelt demzufolge reißerisch, dass die Autofahrer:innen "am Ende der Hackordnung" stehen. Tatsächlich wird in den Empfehlungen des Highway-Codes das Rücksichtnahmegebot, in Österreich "Vertrauensgrundsatz", ausformuliert und mit konkreten Handlungsanweisungen versehen:

Radfahrer:innen und Reiter:innen sollen Rücksicht auf Fußgänger:innen nehmen, Autofahrer:innen auf Radfahrer:innen und Fußgänger:innen. So weit, so unspektakulär. In der Wahl der Umsetzung geht der Highway-Code allerdings über uns Bekanntes hinaus:

  • Radfahrer:innen werden zum Nebeneinanderfahren ermuntert
  • Einzelne Radfahrer:innen sollen in der Mitte der Fahrbahn fahren
  • Autos sollten Radfahrer:innen nur mit mindestens 1,5 Meter Abstand überholen

All das führt auf Nebenstraßen bei Gegenverkehr zu einem De-facto-Überholverbot. Allerdings haben auch Radfahrer:innen auf die Bedürfnisse anderer Verkehrsteilnehmer:innen Rücksicht zu nehmen, also auch Autofahrer:innen das Überholen zu ermöglichen. Nicht verschwiegen werden darf in diesem Zusammenhang, dass der Highway-Code Radfahrer:innen auffordert, sich selbst gut sichtbar zu machen.

Wohl keine Verhaltensänderungen

Bezweifelt wird, dass diese reinen Empfehlungen in Österreich zu einer Verhaltensänderung führen würden, da die Empfehlungen des Highway-Codes nicht mit Strafen oder einem Bußgeld belegt sind, allerdings bei englischen Zivilverfahren die Mitverschuldensfrage beeinflussen können. (Johannes Pepelnik, 16.2.2022)