Joe Burrows Ende war 185 Zentimeter groß und etwa 127 Kilo schwer. Der Quarterback der Cincinnati Bengals hätte nur ein müdes Yard gebraucht, um die Hoffnung auf den Sieg am Leben zu halten. Der Spielzug hatte gerade erst begonnen, Burrow wollte sich einrichten, einen freien Mann suchen. Aber da kam schon wieder dieses Ungetüm angerauscht, fuhr seine Pranken aus und riss den jungen Spielmacher zu Boden wie ein Spielzeug. Dass der den Ball in letzter Verzweiflung noch in Richtung eines Mitspielers schleuderte – egal. Eierlaberl am Boden, Game Over. Aaron Donald hatte wieder zugeschlagen und seine Los Angeles Rams mit 23:20 zum Sieger des Super Bowl LVI gekrönt.

Die Entscheidung: Aaron Donald reißt Joe Burrow um, der wirft den Ball weg.
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"Du musst unermüdlich sein", sagte Donald. "Wenn du etwas stark genug willst, musst du es dir holen." Dieses Etwas, das ist bei Donald das Krawattl des Ballführenden, gewöhnlich der Quarterback oder Running Back. Schon im Halbfinale gegen San Francisco war es der durchbrechende Defensive Tackle, der Spielmacher Jimmy Garoppolo zu seinem spielentscheidenden Fehlwurf zwang. Wie Donald Gegenspieler im Kleiderschrankformat durch die Gegend schiebt und wie flink er an ihnen vorbeirast, ist in der NFL einzigartig.

Endlich Konfetti

Drei Jahre zuvor hatte er seiner Tochter Jaeda versprochen, mit ihr im Konfettiregen zu spielen. Die New England Patriots hatten etwas dagegen, nach dem zermürbenden 13:3 gehörte das Konfetti Bill Belichick und Tom Brady. "Heute haben wir die Mission erfüllt. Sie hat immer noch Konfetti im Haar", sagte Donald bei der Pressekonferenz, zu der er seine Achtjährige kurzerhand mitnahm.

Für eine Konfettiparty wie in der Nacht auf Montag braucht es selbstredend mehr als einen Helden. Matthew Stafford warf in den entscheidenden Momenten unter größtem Druck herrliche Pässe. Donalds kongenialer Nebenmann Von Miller ließ die Bengals für ihren Fokus auf den Superstar büßen. Safety Eric Weddle, für die Playoffs aus der eineinhalbjährigen Football-Pension geholt, spielte mit einem laut Eigendiagnose gerissenen Brustmuskel sämtliche 61 Defense-Spielzüge. Odell Beckham Jr. verletzte sich nach starkem Beginn samt Touchdown schwer am Knie.

Auch Matthe Stafford spielte mit seinen Töchtern im Konfetti.
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Und dann war da noch der MVP: Cooper Kupp wurde dank 92 Receiving Yards und zweier Touchdowns zum wertvollsten Spieler gewählt. Er bekam den Vorzug wohl auch, weil sich Donalds gewaltiger Einfluss nicht in Statistiken gießen lässt. Wer permanent von zwei bis drei Gegenspielern bearbeitet wird, sammelt keine fünf Sacks. Doch Kupp war nach der Verletzung von "OBJ" der Funke, der die Offense der Rams am Leben hielt. Der 28-Jährige war im Finish stets da, wo ihn sein Quarterback brauchte, und krönte so eine sensationelle Saison, in der er sämtliche statistischen Kategorien anführte. Kupp bekam als erster Wide Receiver seit Randy Moss 1998 eine Stimme bei der Wahl des Regular-Season-MVP.

Dass es Kupp zu diesem Punkt schaffte, ist eine dieser unglaublichen Geschichten, die die US-Sportwelt so liebt. Niemand schrieb dem schmächtigen Burschen aus der Stadt Yakima in Washington großes Talent zu, von physischen Ausnahmewerten konnte er nur träumen. Also wurde er zum "Football-Wissenschafter", ergänzte den Arbeitswillen eines Besessenen um die Detailverliebtheit eines Physiknerds. Kupps Frau Anna arbeitete neben dem Studium Vollzeit, um ihrem Partner vollen Fokus auf Sport und Studium zu ermöglichen. "Ohne sie wäre ich nicht in der NFL", sagt er heute.

Touchdown Kupp. 33 Pässe hat Cooper Kupp in den vier Playoff-Spielen gefangen. Das ist NFL-Rekord.
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Etwas Glück brauchte es auch: Dank der Bekanntschaft seines Großvaters mit NFL-Legende Archie Manning durfte der junge Cooper dessen Söhne Peyton und Eli bei einem Trainingslager unterstützen. Dort stritten sich die Brüder um den Receiver, weil er so perfekte Routen lief. Rams-General-Manager Les Snead hörte das und schrieb sich "Wer zur Hölle ist Cooper Kupp?" ins Notizheft.

Ein Labor

In der Profiliga angekommen, blieb Kupp seinem System treu. Er baute sich in einer Scheune ein Football-Labor mit eigenen Messgeräten. Er kopierte sich das von Kampfjetpiloten verwendete OODA-System: observieren, orientieren, entscheiden, handeln. Er entlieh sich Prinzipien aus Sun Tzus Kunst des Krieges. Der Wide Receiver machte sein Hirn zu einem Computer, der Football durchgespielt hat. Er liest seine Gegenspieler fast hellseherisch und entscheidet binnen Zehntelsekunden. Und dank jahrzehntelangen hypereffektiven Trainings läuft er mittlerweile auch schnell.

Im Super Bowl war Erntezeit. Kupp war im entscheidenden Drive nicht zu stoppen, erzwang drei Strafen und fing vier Pässe, darunter den letzten Touchdown der Partie. Die Bengals bekamen noch die Chance auf den Ausgleich, doch dann kam Aaron Donald. (Martin Schauhuber, 14.2.2022)