Foto: Swiss Travel System AG/Tobias Ryser

München/Prag/Wien – Die dicke Brille ist schuld, dass Jaroslav Rudiš nicht Lokführer ist, sondern sein Dasein als Schriftseller und Dramatiker fristet. Zwar war der Traum vom Berufsleben an vorderster Zugsfront für den 1970 geborenen tschechischen Autor wegen zu viel Dioptrien bald abgefahren, doch genießt er sichtlich das Leben in vollen (und auch leeren) Zügen. Seine "Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen" ist in Zeiten des Klimawandels eine Anregung, die Reiselust in die rechte Bahn zu bringen.

Rudiš reist bei seinen gedanklichen Ausflügen auch in die Vergangenheit der Dampfrösser und deren emanzipatorischen Verdienste. Er konstatiert nämlich, "dass es die Eisenbahn war, die es den Menschen ermöglichte, auch weit entfernte Räume aufzusuchen. Und zwar allen Menschen. Den Reichen wie den armen, obwohl die einen in nobleren und gepolsterten und die anderen eher in einfacheren Wagen und abteilen unterwegs waren."

Gesellschaftliche Aggregatzustände

Auch wenn sich gewisse soziale Unterschiede oder Standesdünkel in Waggons erster, zweiter und ehedem sogar dritter Klasse manifestierten, war die Eisenbahn "eine wahre demokratische Institution, die allen das Reisen möglich machte". So gesehen ist die Bahn auch ein Barometer gesellschaftlicher Aggregatzustände: "Manchmal gibt es noch eine Businessklasse, wie im österreichischen Railjet oder bei den Expresszügen in Italien."

Rudiš lässt sich gerne ins internationale Eisenbahnnetz fallen, jenes von Europa kennt er fast in seiner ganzen Spannweite, wie auch der Klappentext verrät: "In seinem Buch begibt er sich im Takt der Schienen durch Europa: Von Berlin aus bis zum Gotthard und von Sizilien bis nach Lappland; im Nachtzug durch Polen und die Ukraine sowie im Speisewagen von Hamburg nach Prag."

Sacherwürstel, Currywurst, Spišské párky

Im Speisewagen ist Rudiš offenbar ganz besonders gerne unterwegs. Ihm ist auch keinesfalls "wurscht", welche kulinarischen Spitzfindigkeiten es in den unterschiedlichen Regionen und Zuggesellschaft gibt: Fleischige Krainerwurst oder schienenstranglange Sacherwürstel bei den ÖBB. Currywurst mit Pommes oder Nürnberger Rostbratwürste bei der Deutschen Bahn (DB) sowie Sokolów-Wurst bei den polnische Kollegen oder in Tschechien "Spišské párky von einem kleine Fleischer aus einem Prager Vorort."

Der selbst definierte "Eisenbahnmensch" bringt in seinem Buch literarisch so manches auf Schiene, weiß auch seitenlang über die Rolle von Zügen in der Weltliteratur und im Film zu schwadronieren. Als verhinderter Lokführer verabsäumt er es natürlich auch nicht, bisweilen einmal am Führerstand einen Lokalaugenschein vorzunehmen. Gerne ist er mit Pavel unterwegs, der seit 40 Jahren mit Lokomotiven der Ceské dráhy, der Tschechischen Bahnen, fährt.

Etwa von Prag nach Dresden. "Das Moldautal ist eng und felsig und die Strecke kurvig. Sie passt sich Fluss und Tal an." Gemeinsam mit Pavel erzählt er dann von der "Fahrt durch die Porta Bohemica und den Elbdurchbruch", (...) von der malerischen und dramatischen Landschaft der Böhmischen und der Sächsischen Schweiz. (...) Von den steil emporsteigen Hügeln im Böhmischen Mittelgebirge, (...), von der Festung Königsstein, vom Lilienstein und von den anderen Tafelbergen...". Auch wenn (oder weil) dies für manchen geneigten Leser Neuland sein mag, wäre er am liebsten gleich mitgefahren, schließlich macht der auch auf Deutsch schreibende Tscheche einfach Lust auf Bahn. (APA, 15.2.2022)