Zwei Präsidenten, zwischen ihnen beinah eine ganze Welt: Wladimir Putin und Emmanuel Macron beim Gedankenaustausch.

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Die Blicke aus Wladimir Putins Augen geben der Weltöffentlichkeit seit geraumer Zeit Rätsel auf. Was treibt den traurigsten aller Zaren um? Seit Truppen der Russischen Föderation in unmittelbarer Rufnähe zur Ukraine das Laufverhalten ihrer Panzerketten überprüfen, schießen die Spekulationen der Kreml-Auguren ins Kraut.

Die Tafeln, an deren Stirnseite Putin Platz nimmt, um seine Schwermut zu pflegen, werden immer unförmiger und länger. Als kürzlich Emmanuel Macron im Kreml Platz nahm, maß die Luftlinie zwischen den Präsidenten – beide nicht eben mit Riesenwuchs gesegnet – unglaubliche sechs Meter. Die ellipsoide Grundfläche des Tisches hätte ausgereicht, um auf ihr einen Deckhengst zu bewegen. Als anderntags Außenminister Lawrow bei Putin erschien, hatten sich die Möbelpacker vom Roten Platz noch einmal selbst übertroffen. Der von Putin für das Treffen unter Freunden gewählte Tisch maß, den TV-Bildern nach zu urteilen, in etwa die Länge der Strecke von Smolensk nach Moschaisk, das sind immerhin 286,4 Kilometer.

Umfassende Klimakenntnis

Als wissbegieriger Babyboomer spitzte ich stets die Kinderohren, wenn von Russland die Rede war. In den frühen Jahren der Reformära Kreisky betonten viele reife Herren – meist nach Genuss einiger Gläser unfassbar sauren Weins – ihre umfassenden Kenntnisse, was Russlands Klima und seine unglaubliche Ausdehnung betraf. Doch leider, im Winter: dieser unerträgliche Frost! Ich verstand nicht recht, was die Onkel in diesem problematischen Land zu suchen gehabt hatten. Manche von ihnen hatten sogar einen Fuß dort gelassen oder ein paar Zehen. Zu den von ihnen bevorzugt aufgesuchten Landstrichen gehörte übrigens auch die Gegend rund um Smolensk.

Auf meine Nachfragen hin folgte zumeist eine Feststellung: Der russische Mensch sei, abgesehen vom hässlichen Kommunismus, seiner Natur nach rechtschaffen und treuherzig. Er gebe, und koste ihn das auch sein Leben, für andere bereitwillig sein letztes Hemd. Das berechtigt, mit Blick auf den Kreml, noch jetzt zu einiger Hoffnung. (Die Kolumne von Ronald Pohl, 16.2.2022)