Viel Einfluss für Mediziner bei der Sterbehilfe: Wer das neue Gesetz in Anspruch nehmen will, ist auf ärztliches Wohlwollen angewiesen.
Foto: Elmar Gubisch

Wer sich wegen einer schweren, unheilbaren Krankheit das Leben nehmen will, dem darf dabei straffrei geholfen werden: Dies ist infolge einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs seit Jahresbeginn Rechtslage. Doch hält die Praxis, was das neue Gesetz verspricht? Erste Erfahrungen – DER STANDARD berichtete – ließen Zweifel aufkommen. Vor Sterbewilligen scheinen sich Hürden aufzubauen.

Das liegt an den von der türkis-grünen Regierung formulierten Bedingungen. Voraussetzung für den assistierten Suizid ist eine Begutachtung durch zwei Ärztinnen oder Ärzte, von denen zumindest eine oder einer über eine palliativmedizinische Ausbildung verfügen muss. Geprüft muss werden, ob der oder die Betroffene entsprechend krank ist sowie voll zurechnungsfähig aus freiem Willen heraus entschieden hat. Außerdem ist Aufklärung vorgeschrieben– vor allem über Alternativen zum Suizid.

Wunsch erst abgeschmettert

Dazu verpflichtet ist allerdings niemand. Was, wenn Anwärter bei der Suche in jeder Ordination abblitzen? Die Ärztekammer machte nicht unbedingt Mut. Präsident Thomas Szekeres sprach sich gegen die Liberalisierung aus und schlug einen zentralen Wunsch von Sterbehilfe-Befürwortern erst einmal aus. Eine Liste aller Ärztinnen und Ärzte, die für eine Begutachtung bereit sind, sei nicht geplant, sagte Szekeres. Für die Kammer sei der Aufwand zu groß, diese stets aktuell zu halten.

Nun will die Standesvertretung, zumindest in der Bundeshauptstadt, doch stärker kooperieren. Die Wiener Kammer schickte an ihre Mitglieder ein Rundmail mit dem Angebot, sich für eine entsprechende Liste zu registrieren. In Planung sind demnach ein Praxisleitfaden und Fortbildungsangebote, auch eine Honorarempfehlung gibt es: Die Begutachtung und die vorgesehenen ärztlichen Gespräche sollen 132 Euro plus jährliche Valorisierung kosten.

Infos nur auf konkrete Anfrage hin

Ein Meinungswandel? So will man das in der Ärztekammer nicht sehen. Die ursprüngliche Absage habe sich auf eine auf der Homepage veröffentlichte Liste bezogen – und eine solche sei nach wie vor nicht geplant. Das nun geplante Register werde nur auf konkrete Anfrage zur Verfügung gestellt. Das Aktualisierungsproblem stelle sich da zwar genauso, aber im Fall der selektiven Verbreitung sei das verkraftbarer.

Von der Wiener Initiative lässt sich in der föderal organisierten Kammer allerdings noch nicht auf die restlichen acht Länder schließen. Auf eine Rundfrage hin meldeten sich bisher nur die Vorarlberger, die eine Liste mit bereitwilligen Ärztinnen und Ärzten zumindest erwägen.

Angst vor den "falschen Händen"

Die Niederösterreicher winkten hingegen ab. Fortbildungen ja, aber im Fall einer Liste würden für die Ärzteschaft die Nachteile überwiegen. Da es bereits bei "harmloseren" Themen wie dem Impfen zu Bedrohungen und Beschimpfungen komme, sollten bei einem so sensiblen Thema wie dem assistierten Suizid schon gar keine digitalen Register erstellt werden, die – obwohl womöglich nicht mehr aktuell – lange im Internet kursierten und in falsche Hände gerieten. Außerdem, heißt es weiter, "darf keinesfalls der Eindruck entstehen, dass hier Geschäftemacherei mit im Spiel ist".

Niederösterreichs Patientenanwalt Gerald Bachinger zog via ORF.at eine erste Bilanz: Nur wenige Ärzte wollten mitmachen, stellte er fest – und die bereitwilligen zu finden, sei mangels Liste "fast unmöglich".

Im Werden sind hingegen die zum Sterbehilfegesetz geplanten Begleitmaßnahmen: Am Donnerstag soll der Nationalrat einen bis 2024 mit 108 Millionen Euro dotierten Fonds beschließen, um das Angebot der Hospiz- und Palliativversorgung auszubauen. (Gerald John, 23.2.2022)