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Der Wirecard-Skandal flog 2020 auf, die juristische Aufarbeitung steht jedoch erst am Anfang.

Foto: REUTERS/Andreas Gebert

Der Bilanzskandal rund um Wirecard sorgt einmal mehr für Aufregung: Wie vergangene Woche bekannt wurde, pflegte Jan Marsalek, ehemaliges Vorstandsmitglied des Zahlungsdienstleisters, noch engeren Kontakt zu Beamten des österreichischen Verfassungsschutzes als bisher angenommen. Marsalek soll sich über seine Verbindungen ins Geheimdienstmilieu Infos über Geschäftspartner und Konkurrenten beschafft haben, DER STANDARD berichtete. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.

An einer anderen Front kämpfen unterdessen Investorinnen und Investoren um ihr verlorenes Geld, und auch dort gibt es Neuigkeiten. Zahlreiche Geschädigte haben nicht nur die mutmaßlich Verantwortlichen im Vorstand selbst geklagt, sondern auch den Wirtschaftsprüfer EY, der Wirecard jahrelang positive Zeugnisse ausstellte. Das Argument: Wären die Prüfer früher hellhörig geworden, wäre der Skandal schon vor Jahren aufgeflogen und der Schaden nie entstanden.

"Enge Beziehung"

Bisher wurden die meisten dieser Klagen gegen EY vor deutschen Gerichten eingebracht, eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien könnte das aber ändern. Denn laut den zuständigen Richterinnen und Richtern dürfen Menschen, die Geld verloren haben, auch in Wien gegen die deutschen Wirtschaftsprüfer vor Gericht ziehen.

Möglich macht das der Präzedenzfall eines österreichischen Aktionärs: Er klagte in Wien nicht nur EY, sondern auch einen ehemaligen Aufsichtsrat von Wirecard, der in Österreich seinen Wohnsitz hat. Für den österreichischen Aufsichtsrat sind die österreichischen Gerichte zuständig, für EY eigentlich die deutschen. Das Oberlandesgericht Wien hat nun aber entschieden, dass die Prozesse verknüpft werden können.

Laut einer europarechtlichen Regelungen können mehrere Personen gemeinsam geklagt werden, wenn zwischen den Verfahren eine "enge Beziehung" herrscht. Aus Sicht des OLG ist das hier der Fall. Denn Aufsichtsratsmitglieder überwachen nicht nur den Vorstand, sondern bestellen auch die Abschlussprüfer.

Ausgang offen

Gegessen ist die Sache aber keineswegs: Noch kann EY den Beschluss des OLG beim Obersten Gerichtshof (OGH) anfechten. Das letzte Wort hat dann der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Wohlgemerkt: Dabei geht es nur um die Frage, wer für das Verfahren zuständig ist. Ob den Aktionärinnen und Aktionären letztlich der Beweis gelingt, dass die Betrügereien den Prüfern hätten auffallen müssen, bleibt völlig offen.

Rechtsanwalt Eric Breiteneder, der zahlreiche österreichische Kläger in Wien vertritt, hat sich bei einem Gespräch mit Journalistinnen und Journalisten am Montag jedenfalls zuversichtlich gezeigt. Zwar können geschädigte Österreicherinnen und Österreicher theoretisch auch in Deutschland klagen, hierzulande seien aber schnellere Entscheidungen zu erwarten. "Und die örtliche Nähe macht es natürlich leichter", sagt Breiteneder.

Beweis schwierig

Rund zehn Verfahren seien bereits bei Gericht anhängig. Abgesehen davon haben sich bisher tausende weitere Geschädigte mit einer Schadenssumme von mehr als 100 Millionen Euro gemeldet, sagt der Anwalt.

Die große Anzahl an Verfahren dürfte es den Klägerinnen und Klägern aber nicht unbedingt einfacher machen. Wenn Wirtschaftsprüfer fahrlässig Unregelmäßigkeiten übersehen, haften sie nämlich nur bis zu einem bestimmten Betrag. Damit würden viele der Klägerinnen und Kläger durch die Finger schauen – auch wenn sie das Verfahren gewinnen.

Anwalt Breiteneder versucht deshalb zu beweisen, dass die Wirtschaftsprüfer vorsätzlich gehandelt haben. Die Haftungssumme wäre damit unbegrenzt. An sich würde dafür ein sogenannter bedingter Vorsatz reichen, der dann erfüllt ist, wenn die Wirtschaftsprüfer davon ausgehen mussten, dass die Bilanzen nicht stimmen, sie aber nichts dagegen getan haben. "Wir müssen etwas machen", sagt Breiteneder. "Solche Betrügereien dürfen sich nicht auszahlen."

23 Milliarden Euro Schaden

Wirecard hatte am 25. Juni 2020 Insolvenz angemeldet, nachdem bekannt geworden war, dass in der Bilanz 1,9 Milliarden Euro fehlten. Der Schaden, den der Fall verursacht hat, summiert sich auf rund 23 Milliarden Euro. Gegen EY wurden wegen mutmaßlicher Verletzung der Prüf- und Sorgfaltspflicht mittlerweile hunderte Klagen eingebracht. (Jakob Pflügl, 21.2.2022)