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Für Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat sich die Situation in der Ukraine "massiv verschärft", wie er nach der Sitzung des Krisenkabinetts der türkis-grünen Bundesregierung am Vormittag sagte. "Die Zeichen stehen leider immer mehr auf Konfrontation." Russland breche mit seinem Vorgehen das Minsker Abkommen. Es sei nicht das erste Mal, dass Russland mit der Anerkennung der von Separatisten besetzten Gebiete, dieses Mal Luhansk und Donezk, "Phantomstaaten schafft". In einem ersten Schritt werde am Dienstag der russische Botschafter ins Außenministerium zitiert.

Nehammer unterstütze bei den Sanktionen gegen Russland den von der EU vorgeschlagenen stufenweisen Ansatz. Eine erste Beschlussfassung erfolge heute über die EU-Außenminister. Laut dem Kanzler müsse aber von einer weiteren Eskalation der Situation in der Ukraine durch Russland ausgegangen werden. "Wir haben leider die Spitze der Eskalation noch nicht erreicht."

Dann würden weitere Sanktionen folgen, dazu müssten auch die EU-Regierungschefs in Abstimmung mit der Kommission zusammentreten. Von einem großen Sanktionspaket sei auch die noch nicht in Betrieb gegangene Pipeline North Stream 2 umfasst, sagte Nehammer. Dass Österreich in puncto Sanktionen gemeinsam mit Deutschland auf der Bremse stehe, wie deutsche Medien berichteten, wies Nehammer zurück. Das sei "maximal ein Gerücht" und "der Desinformationspolitik geschuldet". Berlin meldete kurz nach den Äußerungen des Kanzlers, dass Nord Stream 2 vorerst auf Eis gelegt werde.

Mögliche Evakuierung von österreichischen Staatsbürgern

Aktuell würden Gespräche über mögliche Evakuierungen von österreichischen Staatsbürgern in der Ukraine laufen. Derzeit sei die Lage für diese aber noch "ruhig und gesichert", wie Nehammer versicherte. Derzeit halten sich rund 150 Österreicherinnen und Österreicher in der Ukraine auf, die Republik Österreich habe ein zusätzliches Krisenteam gesandt. Zudem habe Österreich der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) angeboten, mehr Beobachter in der Ukraine zur Verfügung zu stellen.

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"Ukraine ist näher als Vorarlberg"

"Die Ukraine ist näher als Vorarlberg", sagte Nehammer. Angesprochen auf möglicherweise bevorstehende Fluchtbewegungen nach Österreich, meinte der Kanzler, dass die Erfahrung aus dem Konflikt 2014 gezeigt habe, dass "Österreich kein Primärland ist". Laut Nehammer würden potenzielle Flüchtlinge andere ukrainische Communitys in Europa suchen – etwa in Spanien. Dazu seien Polen, die Slowakei und Ungarn Erstaufnahmeländer. Diesen Ländern werde Österreich helfen. Die Frage, ob auch Österreich Flüchtlinge aufnehmen werde, beantwortete Nehammer nur indirekt: "Nachbarschaftliche Hilfe hat Österreich nie infrage gestellt."

Für diplomatische Treffen auf höchster Ebene im Ukraine-Russland-Konflikt würde sich Österreich anbieten, so Nehammer. "Wir müssen alles unternehmen, dass Diplomatie nicht am Ende der Fahnenstange ankommt." Allerdings hielt der Kanzler auch fest: "Wir sind ein neutrales Land, aber in der Meinung nicht neutral." Die habe man dann, wenn Völkerrecht verletzt werde. Deshalb sei Österreich auch Teil der Uno und der EU.

Energieversorgung in Österreich vorerst gesichert

Zu möglichen Engpässen in der Gasversorgung sagte Nehammer, dass die Energieversorgung in diesem Winter gesichert sei. Selbst wenn die russische Föderation per sofort sämtliche Gaslieferungen einstellen würde, sei die Versorgung vorerst gesichert. Die EU habe vor Jahren auch damit begonnen, die Gaslagerstätten in der EU auszubauen.

Zum Konflikt sagte Nehammer, dass das Bedrohungspotenzial Russlands "massiv" sei. Die Offensivkapazitäten seien "dramatisch hoch". Die Frage sei, ob russische Truppen im Osten der Ukraine Verteidigungsstellungen beziehen würden – "oder in Angriffsstellung übergehen". Daher könne die EU aktuell noch nicht alle Sanktionsmöglichkeiten auf einmal ausschütten. (krud, 22.2.2022)