Nord Stream 2 ist (vorerst) Geschichte.

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Die Diplomatie ist im frostigen Klima, das zwischen Moskau und Kiew, besser gesagt zwischen Russland und dem Westen seit Jahren herrscht, tatsächlich ausgerutscht. Das schadet nicht nur den Menschen in der Ukraine, die den schwelenden Krieg im Osten des Landes seit gut sieben Jahren ertragen müssen; auch die Bevölkerung in Russland wird die Folgen noch spüren – noch mehr Freiheitseinschränkung und sinkenden Wohlstand. Im Vergleich dazu leidet Europa auf hohem Niveau. Das gilt auch für Energie.

Dabei ist insbesondere Gas die Achillesferse, bei der Europa am schwersten getroffen werden kann. Das gilt noch immer, aber nicht auf ewig. Denn alle Bestrebungen auf dem Alten Kontinent gehen dahin, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern und so weit als möglich durch neue Erneuerbare zu ersetzen. Das geht nicht von heute auf morgen, und das weiß auch Russlands Präsident Wladimir Putin. Er nutzt die Zwickmühle, in der sich Europa befindet, denn auch für seine machtpolitischen Zwecke. Der Schuss kann aber nach hinten losgehen. Indem sich Europa aufgrund der Ereignisse noch schneller als geplant und entschiedener nach Alternativen umsieht, schaut Russland durch die Finger.

Putin, der Aggressor

Zumindest kurzfristig muss sich kein Haushalt und wohl auch kein Unternehmen Sorgen machen, im Kalten sitzen zu müssen oder nicht mehr produzieren zu können, weil der Öl- oder Gasfluss aus dem Osten plötzlich stoppt. Putin, der Aggressor im Ukraine-Konflikt, hat das immer ausgeschlossen und am Dienstag erneut bekräftigt. Zumindest in dem Punkt sollte man den russischen Präsidenten ernst nehmen. Er hat, davon ist auszugehen, in Vorbereitung des großen Kräftemessens mit dem Westen den teilstaatlichen Konzern Gazprom frühzeitig angewiesen, weniger Gas nach Europa zu schicken und auch weniger einzuspeichern als sonst üblich.

Das hat schon geraume Zeit vor der Eskalierung des Konflikts mit der Ukraine dazu geführt, dass die Gaspreise in Kombination mit anderen Faktoren wie höherer Nachfrage förmlich explodiert sind. Es hat auch dazu beigetragen, dass sich Europa wieder einmal auseinanderdividiert hat in der Frage, wie man mit Russland umgehen soll – mit Liebe oder mit Hieben. Von dort bezieht Europa 40 Prozent seines Gasbedarfs, Österreich sogar 80 Prozent. Die langfristig zugesagten Mengen hat Russland freilich geliefert, so wie es das auch in den Jahren des Kalten Krieges immer getan hat. Wenn Russland den Gashahn zudrehen würde, wäre der letzte Rest an Vertrauen in eine sichere Gasversorgung dahin, und das Land hätte eine seiner letzten Einnahmequellen verspielt.

Spätestens jetzt geht es darum, neue Energiequellen zu erschließen, kräftig in den Ausbau von Wind- und Solaranlagen und vor allem in Speichertechnologien zu investieren. Gas als Brückentechnologie wird deshalb forciert, weil man bisher nichts Besseres hat. Vielleicht erweist sich Putin noch als derjenige, der Europa nicht zuletzt bei Energie vorangebracht hat. (Günther Strobl, 23.2.2022)