Mit seinen eigenen Traumata beschäftigt: Avshalom Pollak in "Aheds Knie".

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Nach der Abkehr erfolgt die direkte Konfrontation: So könnte man das Verhältnis der letzten beiden Filme von Nadav Lapid, dem wichtigsten israelischen Regisseur der Gegenwart, beschreiben. Im 2019 auf der Berlinale ausgezeichneten Synonymes versucht sich ein junger jüdischer Mann im Exil neu zu erfinden. Er erwacht nackt in Paris, weigert sich fortan, Hebräisch zu sprechen, muss schließlich aber doch einsehen, dass Israel zu tief in ihm drinnen steckt.

Filmgarten

In Aheds Knie drückt Lapid seine Enttäuschung über den politischen Kurs seines Landes nun so wutschnaufend aus, dass es einem selbst den Atem verschlägt. Im Mittelpunkt steht der Filmregisseur Y. (Avshalom Pollak), der einen Film über die palästinensische Aktivistin Ahed Tamimi plant, die einen Soldaten geohrfeigt hatte. Daraufhin wurde ihr in einem Tweet mit einem Schuss ins Knie gedroht.

Moralische Erzählung

Die Kamera wirkt schon zu Beginn hypernervös, huscht hin und her oder reißt Richtung Himmel aus: Y. soll in einem Dorf in der Arava-Wüste seinen letzten Film präsentieren. Von der jungen Bibliotheksleiterin Yahalom (Nur Fibak) wird er angehalten, ein offizielles Formular zu unterzeichnen, das die Themen des Publikumsgesprächs einschränkt. Lapids Film entwickelt daraus eine moralische Erzählung, in der Fragen nach künstlerischer Freiheit und individueller Verantwortung eng mit Y.s eigenen militärischen Erfahrungen verknüpft werden.

In Rückblenden ist er als junger Soldat in einem Bataillon überschäumender Männer zu sehen, die systematisch gebrochen werden. In der Gegenwart kann der Regisseur noch so wild zu Vanessa Paradis’ Song Be My Baby durch die Wüste hüpfen – den sozialen Habitus, den ihm sein Land auferlegt hat, kann auch er nicht abschütteln. Mit Aheds Knie ist Lapid bei einem Kino als einer Form von Exorzismus angelangt. (kam, 24. 2. 2022)