Die Schriftstellerin Tanja Maljartschuk sieht in der Offensive nicht den Beginn des Dritten Weltkriegs, sondern ein verspätetes Ende des Zweiten Weltkriegs.

Foto: Heribert Corn

Zahlreiche ukrainestämmige Künstlerinnen und Künstler äußerten sich am Donnerstag zu Putins Kriegsoffensive. Die Dirigentin Oksana Lyniv, Musikdirektorin des Opernhauses von Bologna und frühere Chefdirigentin der Oper Graz, verfolgt mit großer Sorge die dramatischen Entwicklungen in ihrer Heimat. Auf APA-Anfrage wollte sie zwar keine aktuellen Kommentare über die Lage in ihrem Land liefern, die 44-Jährige hat jedoch in Sozialen Netzwerken Position zur ukrainischen Krise bezogen.

"Die ukrainische Nation hat unter großen Opfern und mit dem Blut unserer Vorgänger für ihre Souveränität gekämpft. Es ist unmöglich zuzulassen, dass jetzt wieder ein Krieg im Herzen Europas ausbricht, der uns bedroht und künftigen Generationen das friedliche Leben, die Freiheit und Souveränität unseres Staates nimmt", so Lyniv auf ihrer Facebook-Seite. Die Dirigentin postete ein Bild des russischen Präsidenten Wladimir Putin, auf dem eine blutbeschmierte Hand und die Schrift "Killer" zu lesen ist.

"Ich spreche überall Ukrainisch und bin sehr stolz auf meine Nationalität und meinen Patriotismus. Ich bin auch über die ukrainische Musik stolz – sie liegt mir sehr am Herzen und ich tue viel, um sie in der Welt zu verbreiten. (...) Wir erleben eine wichtige Zeit, in der wir der Welt unsere Nation, unsere Kultur, unsere Seele, unsere Mentalität, unseren Fleiß und unser Talent zeigen".

Maljartschuk: "Habe mit Angriff gerechnet"

Im Jahr 2018 hat die aus der Ukraine stammende Autorin Tanja Maljartschuk in Klagenfurt den Bachmann-Preis gewonnen. Im Jahr darauf erschien ihr Roman Blauwal der Erinnerung auf Deutsch, in dem sie sich dem Unabhängigkeitskampf der Ukraine in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts widmete. Im Interview zeigte sie sich angesichts des Einmarschs Russlands in ihr Heimatland erschüttert. "Nicht nur ich, sondern ganz Europa ist heute in Polen 1939 aufgewacht."

"Der Unterschied ist nur, dass der russische Präsident, der mit seinen Truppen die Ukraine gerade von allen Seiten stürmt, nicht Hitler ist", so die Autorin. "Er hat außer einen weißrussischen Kleindiktator in der Welt keine Verbündeten und wird sie nicht finden, weil die Welt im 21. Jahrhundert keine imperialistische Kriege mehr will." Maljartschuk sieht daher keinen Dritten Weltkrieg heraufdräuen, sondern "das verspätete Ende des Zweiten". Das Regime Putins werde fallen, die Frage sei nur, "wie viele Ukrainer*innen dafür sterben müssen".

Sie selbst habe mit dem Angriff gerechnet. "Ich bin in der Sowjetunion geboren, ich habe gesehen, was aus Russland in den letzten zehn Jahren wurde, wie katastrophal die Zivilgesellschaft unterdrückt und welche Rhetorik in der Öffentlichkeit geübt wird. Anderes als mit einem Krieg konnte dieses Regime nicht mehr lange existieren."

Rechinsky: Kilometerlange Menschenschlangen

Zahlreiche Nachrichten von Freunden weckten den in Wien lebenden ukrainischen Filmregisseur Juri Rechinsky (Sickfuckpeople, Ugly) heute am frühen Morgen auf. Wie er in einem Mail-Interview erzählte, leben seine Eltern in der Nähe von Kiew nahe des Flughafens Boryspil. "Sie wurden durch eine Explosion und ein darauf folgendes Feuer ganz in der Nähe ihres Hauses geweckt", schilderte der Regisseur.

Auf seine Frage, ob sie flüchten können, hätten sie geantwortet, dass derzeit alle Straßen blockiert seien, da alle Menschen gleichzeitig versuchten, wegzukommen. Einer seiner Freunde, der auf der Westseite des Flusses Dnipro lebt, sei bei seinem Anruf gerade unterwegs gewesen, um Nahrung und Treibstoff für seine Familie zu besorgen. Auch er berichtete von kilometerlangen Menschenschlangen. "Seitdem sitze ich vor einem Computer, auf dem zahlreiche Nachrichtenseiten geöffnet sind, ukrainische und westliche, sowie Social-Media-Plattformen. Im Moment ist es schwer zu verstehen, was das wahre Ausmaß und der Fokus dieser Invasion ist und wie weit sie bis zum Abend gehen wird, obwohl die ukrainische Armee und die Regierung des Präsidenten häufig und aussagekräftige Updates geben", so Rechinsky.

Er selbst habe in den vergangenen Tagen nicht mit einem Angriff Russlands gerechnet, auch seine Freunde und Familie nicht. "Bis gestern Abend fühlte sich alles wie ein politischer Handel an. Wir konnten einfach keine mögliche Erklärung dafür finden, warum sich Russland für einen solchen Angriff entscheiden würde." Ein Land mit 40 Millionen Einwohnern zu besetzen, in dem sich die Mehrheit der Bevölkerung in den vergangenen acht Jahren "ganz klar so weit wie möglich von dem Wunsch entfernt hat, ein Teil Russlands zu werden", sei unverständlich.

Künstler Aljoscha: Ukraine soll ein neutraler Staat werden

Der in Düsseldorf lebende russisch-ukrainische Objektkünstler Aljoscha verurteilte am Donnerstag "grundsätzlich jegliche Militärgewalt". "Das ist ein Desaster", sagte der 47 Jahre alte, international erfolgreiche Künstler der Deutschen Presse-Agentur. "Das Leiden und der Krieg müssen gestoppt werden."

Sein Vater sei Russe und seine Mutter Ukrainerin, sagte Aljoscha. Die Familie seines Bruders versuche derzeit aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew Richtung Westen zu flüchten. Er selbst sei vor drei Tagen noch in Kiew gewesen. " So viele Menschen sind betroffen, es wird nur Leid geben." Die Menschen in der Ukraine müssten selbst über ihr Schicksal entscheiden dürfen. Er habe "gemischte Gefühle", sagte Aljoscha. Grundsätzlich sei er dafür, dass die Ukraine ein neutraler Staat mit einem größtmöglichen Föderalismus werde.

Aljoscha, der mit richtigem Namen Alexej Potupin heißt, ist bekannt geworden mit seinen "Bioismen" – filigranen stachelartigen Objekten aus Silikon -, die er inzwischen in monumentaler Größe in New York, Spanien, Deutschland und anderen Ländern ausstellt. Bereits 2014 hatte Aljoscha bei den Protesten auf dem Kiewer Maidan gegen die damalige moskautreue Regierung seine "Bioismen" für eine Kunstaktion direkt an den Barrikaden benutzt. (APA, 24. 2. 2022)