Die Fans des SV Sandhausen rufen per Banner zum Boykott der WM in Katar auf. Viele Unternehmen schauen lieber weg.

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Technische Gigantomanie, herzige Kinderperformances und ein kugelrundes Panda-Maskottchen. Die Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking glänzte in Perfektion. Beim Fackeltransport assistierte auch eine Uigurin, als Überbringerin des olympischen Feuers und einer Politbotschaft – stille Symbolik friedlicher Koexistenz Chinas und seiner Minderheiten. Überschattet wurde die pompöse Leistungsschau der Superlative nur von Corona. Und Vorwürfen massiver Menschenrechtsverletzungen an die neureiche Supermacht aus Fernost.

Die Winterspiele in China sind beendet, nun steht mit der Fußball-WM in Katar das zweite umstrittene Sportgroßereignis 2022 an. Warum eigentlich? Häufiges Argument laut Wirtschaftsethiker Markus Scholz: "Irgendwo müssen Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften ja stattfinden." Das könne aber nicht bedeuten, "dass man die Spiele in Ländern veranstaltet, in denen systematisch und in großem Stil Menschenrechte verletzt werden", sagt der Experte für Menschenrechte im Unternehmenskontext von der FH Wien der Wirtschaftskammer Wien.

"Unternehmen dürfen sich nicht zu Komplizen von Staaten wie China und Katar machen, wo Menschenrechtsverletzungen virulent sind." Markus Scholz
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Katar kassiert von NGOs wie Amnesty International die rote Karte. Dem Zwergstaat werden gravierende Menschenrechtsvergehen attestiert: tausende beim Bau der Stadien zu Tode gekommene Arbeitsmigrantinnen und -migranten, Zwangsarbeit von Hausangestellten, Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen. Der Finanzgigant am Golf, habe sich, wie kolportiert, die WM mittels Korruption erkauft sowie Unterstützung von Terror geleistet.

Finale verlegt

Zumindest im Fall der aktuellen russischen Invasion in Kiew gab es eine relativ rasche Entscheidung: Das Finale der Fußball-Champions-League im Mai wurde von Sankt Petersburg nach Paris verlegt. Die Auswahl der Austragungsorte müsse aber generell mit viel mehr Bedacht geschehen, sagt Scholz: "Sportliche Großereignisse sind immer auch Bühnen für Propaganda."

Assoziationen mit dem historischen Negativbeispiel Berlin 1936 drängen sich auf. "Ohne die Regime direkt vergleichen zu können", sei es "mit Sicherheit das Ziel der Regime, ihre Veranstaltungsorte als attraktiv, wenn nicht gar als überlegen darzustellen". Die Nazis hätten das Vorzeigen der Infrastruktur, jubelnder Massen und von Verbindungen der Naziführung zur politischen Weltspitze, Stars und Sternchen zur PR benützt.

Repressionen gegen Minderheiten

Auch China präsentierte einen überlegenen Standort mit glücklichen Bürgermassen. Zeitgleich sollten Momentaufnahmen von Chinas Polit- und Wirtschaftselite mit Auslandsprominenz und Vertretern des IOC internationale Beziehungsfähigkeit suggerieren. Auf der anderen Seite riefen Menschenrechtsorganisationen zum Boykott der Spiele auf. Angeprangert werden unter anderem Chinas Repressionen gegen Minderheiten wie die Uiguren und die Aktivisten der Hongkong-Proteste 2019/20 sowie die Missachtung von Rede-und Meinungsfreiheit.

Müssen Unternehmen gute Miene zu bösen Spielen machen? Scholz: "Wir geben Unternehmen viele Rechte, wie den Schutz auf geistiges Eigentum in Form von Patenten, aber im Gegenzug entstehen auch Pflichten für diese Corporate Citizens." In einer globalisierten Welt verlören klassische Akteure wie Regierungen und supranationale Organisationen an Einfluss. Unternehmen würden hingegen immer mächtiger. Und könnten als Teil einer Global Governance auch eingreifen: "Ich nenne das die politische Verantwortung von Unternehmen."

Woke-Washing

Das gelte besonders, wenn es um die Bewältigung großer Herausforderungen, wie Klimawandel und den Schutz von Menschenrechten, gehe. "Unternehmen dürfen sich nicht zu Komplizen von Staaten wie China und Katar machen, in denen Menschenrechtsverletzungen virulent sind", sagt Scholz. Selbst wenn nur ein gutes Image nach außen transportiert werden solle, machen sich untätig bleibende Mitwissende indirekt einer "stillschweigenden Komplizenschaft" mitschuldig. Und diese sei von Unternehmen gut zu überdenken.

Ein neues Bewusstsein ist angesagt. Der Wind im Westen dreht. Vor allem die junge Generation setzt auf Wokeness, Schutz der Umwelt sowie der Menschenrechte. Woke-Washing wird von der jungen Cancel-Culture mit gnadenlosem Boykott geahndet. "Natürlich ist China für die meisten Unternehmen ein sehr relevanter Markt. Aber die anderen Märkte sind auch wichtig!"

Scholz weiter: "Die Gewogenheit der Politik auf ihren Heimatmärkten ist und bleibt relevant für Unternehmen." Gleiches gelte für die Gunst westlicher Kunden. "In England gab es Aufrufe von Politikern, Coca-Cola zu boykottieren, zumindest während der Olympischen Spiele, weil das Engagement des Unternehmens dort so stark ist."

Coca-Cola und H&M

Scholz zum Getränkegroßsponsor: "In den USA wird gesagt: Wir sind pro Black Lives Matter. Das ist ein klares politisches Bekenntnis. In Bezug auf Chinas Menschenrechtssituation heißt es, Menschenrechte sind uns wichtig, aber in China sagen wir nichts dazu. Unternehmen sollten sich fragen, wie lange so eine wenig konsistente Marketingstrategie durchzuhalten ist."

Das sei nicht nur eine ethische Frage, sondern auch eine betriebswirtschaftliche: "Wenn man sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, das Gerede von Menschenrechten sei ohnehin alles nur eine Spielart von Greenwashing und eine Art Anbiederung an bestimmte Konsumentenschichten, dann sollten Unternehmen authentischer und kongruenter handeln."

Mit Gegenwind ist zu rechnen, sagt Scholz: "Sich mit China anzulegen ist nicht ungefährlich in betriebswirtschaftlicher Hinsicht." H&M fuhr kürzlich einen Millionenverlust ein, als China Shops des textilen Billigriesen nach Kritik kurzerhand zusperrte. "Das Beispiel zeigt, wie auch nur geringe Kritik bereits ausreicht, um sanktioniert zu werden", sagt Scholz.

"Der Tenor, den China verbreiten möchte: Das ist Einmischung in innere Angelegenheiten. Verbunden mit dem Appell: Kauft nicht mehr bei westlichen Unternehmen." Unternehmen müssten sich also dringend überlegen, wie man künftig in diesem Markt interagieren wolle. Wie eine, nicht ganz zufällig dem Superheldenuniversum entlehnte, Maxime lehrt, bringt große Macht eben auch große Verantwortung mit sich. (Nadja Sarwat, 5.3.2022)