Kosten für Energie und Dünger steigen rasant. Die Nervosität in Landwirtschaft und Industrie wächst.

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Wien – Elisabeth Köstinger (ÖVP) spart nicht mit Kritik am Lebensmittelhandel. Den letzten Cent drücke dieser den Bauern heraus, während er bei den Kunden mit idyllischen Produktionen werbe, klagt die Landwirtschaftsministerin. Er gebe vor, sich auf die Seite der Konsumenten zu stellen, und schreibe dabei jedoch Millionengewinne.

Köstinger erzählt von Bauern, die in Österreich trotz steigender Kosten monatelang hingehalten würden, bis sie zwei, drei Cent mehr für ihre Milch bekämen. Sie berichtet von Erzeugergemeinschaften, die kurz vor der Lieferung mit neuen Mengen und Preisen konfrontiert würden, obwohl sie ihre Schweine zuvor zu den vom Handel vorgegebenen Standards mästeten. Und sie zieht Genossenschaften im Gemüsebau heran, deren Abnehmer offene Rechnungen über Monate nicht beglichen.

Existenzbedrohend sei der Umgang großer Handelsketten mit Lieferanten, ist Köstinger überzeugt. Und in keinem anderen Land der EU würden derart viele Grundnahrungsmittel zu Aktionspreisen verkauft. Die Schweinezucht etwa sei nicht mehr kostendeckend.

Duell der Worte

Argumente, dass Rohstoffpreise international gemacht werden und das Gros der Bauern konventionelle Ware erzeugt, die europaweit im Überfluss vorhanden ist, wischt die Ministerin vom Tisch. Was die Metaller für die Kollektivverträge, seien die Supermärkte für die Preise: "eine Benchmark". Landwirte würden auch für Lebensmittel mit Mehrwert wie Heumilch unangemessen abgegolten. Handelsketten versorgten sich für ihre Eigenmarken vielmehr mit günstigerer Milch aus Deutschland.

Nicole Berkmann weist beides scharf zurück. Bis auf wenige Ausnahmen, wo man auf bayerische Lieferanten zugreife, stamme die gesamte Milch für Handelsmarken aus Österreich, sagt die Spar-Sprecherin. Produkte wie Heumilch habe ihr Konzern miterfunden und zahle dafür den Molkereien auch mehr. Was die zitierten Gewinne betreffe, so beliefen sich die Margen im Handel auf nur ein bis zwei Prozent des Umsatzes. Der Erlöse fließe in eigene Fertigungen, was Österreichs Landwirten zugutekomme, bei denen man einkaufe.

Der Ton zwischen Köstinger und dem Handel bleibt rau. Auch wenn sie, wie ihre Kritiker monieren, wenig Taten setzte, um an den Machtverhältnissen der Branche zu rütteln.

"Zwei Meilensteine"

Köstinger selbst spricht hingegen von zwei neuen Meilensteinen, die die Position kleiner Lieferanten stärken und sie vor "erpresserischen Methoden" schützen sollen. Im Jänner trat ein Gesetz gegen unfaire Geschäftspraktiken in Kraft. Seit März will eine Ombudsstelle im Landwirtschaftsministerin Konflikte entschärfen. Beides ist Teil der EU-Vorgaben.

Österreich drohte aufgrund der verspäteten Umsetzung ein Vertragsverletzungsverfahren. Köstinger sieht die Verantwortung dafür im Wirtschaftsministerium. Sie hat das sogenannte Fairnessbüro nun mit drei Dienstellen ausgestattet. Die Leitung erhielt Johannes Abentung. Der gelernte Jurist weist als ehemaliger Sektionschef im Landwirtschaftsministerium und langjähriger Direktor des Bauernbundes eine lupenreine ÖVP-Karriere auf.

Er werde "Licht in dunkle Ecken bringen", verspricht er. "Als gebürtiger Tiroler habe ich eine kritische Einstellung zur Obrigkeit", ergänzt er mit Blick auf jene, die Köstinger bei seiner Besetzung Klientelpolitik vorwerfen.

Heiße Kartoffel

Leicht hatte es das Büro, das Beschwerden anonym, kostenlos und vertraulich behandeln will, bei seiner Ansiedelung nicht. Vielmehr wanderte es wie eine heiße Kartoffel im Kreis.

Von der Idee, es in die Wettbewerbsbehörde zu verpflanzen, kam man ab. Im Gespräch war kurzzeitig die Landwirtschaftskammer. Gegen Ambitionen, dieses ins Wirtschaftsministerium zu versetzen, verwehrte sich dasselbe entschieden. Sich mit der Mediationsplattform auf neutralen Boden zu begeben, dazu rangen sich Bauernvertreter nicht durch.

Industrielle Lieferanten bezweifeln, dass sich aus ihren Reihen viele Betriebe an die, wie Abentung betont, weisungsfreie und unabhängige Stelle wenden, zeigt ein Rundruf: Diese sei zu eng an die Landwirtschaft gebunden. Von einem "Rohrkrepierer" ist die Rede.

Aber auch Bauernvertreter rechnen mit nur wenigen Mutigen, die es wagten, Lebensmittelriesen anzuschwärzen. Wobei der Handel im Umgang mit Partnern bereits vorbeugend vorsichtiger geworden sei. Dass eine Rewe der Öffentlichkeit interne Dokumentationen offenlegte, um sich im Streit mit dem Fleischverarbeiter Karl Schirnhofer vom Vorwurf der Erpressung reinzuwaschen, sei zuvor fast undenkbar gewesen, meinen Marktkenner.

Sie rechnen damit, dass der Handel künftig noch mehr mit anonymen Produzenten für seine Eigenmarken arbeiten wird und Aufträge vermehrt international ausschreibt.

Eine Lex Raiffeisen?

Für Unmut sorgen Umsatzschwellen. Produzenten mit bis zu einer Milliarde Euro Umsatz sollen etwa vor Händlern mit einem Umsatz von mehr als fünf Milliarden geschützt werden. Großen Molkereigenossenschaften sind Beschwerden damit möglich. Böse Zungen sprechen von einer "Lex Raiffeisen".

Abentung wird einmal jährlich Bilanz über seine Arbeit ziehen. Dabei werde jedoch keiner an den Pranger gestellt. Er sieht das Büro als einen "Seismografen für Fairness." Mehr kosten werde die neue Gerechtigkeit Konsumenten nicht, versichert er. "Auch diese profitieren von friedlichen Lösungen."

Der Startschuss der Ombudsstelle erfolgt in Zeiten, die für Produzenten härter nicht sein könnten. Nach der Krise durch die Pandemie treibt der Krieg in der Ukraine Rohstoffpreise an. Kosten für Energie, Futter und Dünger explodieren. Auf Supermärkte wiederum steigt der Druck, Lebensmittel trotz immer höherer Inflation leistbar zu halten. Das Ringen Davids gegen Goliath wird deutlich schwieriger. (Verena Kainrath, 4.3.2022)