Die Arbeitsbedingungen bei der 24-Stunden-Betreuung und in Langzeitpflegeeinrichtungen werden seit Jahren thematisiert.

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Das System der Langzeitbetreuung und -pflege in Österreich hat Schwachstellen. Durch die Corona-Pandemie sind diese deutlich sichtbar geworden. Die Bilder von Sonderzügen aus Osteuropa mit 24-Stunden-Betreuerinnen während des ersten Lockdowns im März 2020 sind noch in guter Erinnerung. Dadurch sei das Bild entstanden, dass es in der Langzeitbetreuung nur das 24-Stunden-Modell gebe, sagt Kai Leichsenring, Direktor des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung in Wien. Dabei werde rund 80 Prozent der Langzeitbetreuung informell, also von den Familien selbst, geleistet. Auch dieses System stieß während der Lockdowns an seine Grenzen.

Für Leichsenring zählen neben dieser starken Abhängigkeit von informeller Betreuung und der damit zusammenhängenden Entwicklung der 24-Stunden-Betreuung auch der schon jetzt markante Personalmangel sowie die organisatorische und finanzielle Trennung der Langzeitpflege vom Gesundheitssystem zu den größten Herausforderungen in der Langzeitbetreuung.

In der öffentlichen Diskussion führe die Langzeitpflege, als kleine Schwester im Gesundheitssystem, ein Schattendasein, die stationäre Pflege stehe hier meist im Mittelpunkt, sagte er beim Mediengespräch des Diskurs-Wissenschaftsnetzes zum Thema "Care-Systeme unter Druck – in Österreich und Europa".

Kai Leichsenring ist Direktor des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung.
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Auslaufmodell

Die Arbeitsbedingungen bei der 24-Stunden-Betreuung und in Langzeitpflegeeinrichtungen werden seit Jahren thematisiert. Leichsenring sieht aber gerade die 24-Stunden-Betreuung als ein Modell mit Ablaufdatum. Denn auch in den Herkunftsländern der Betreuerinnen werden ähnliche Systeme entwickelt und passen sich die Löhne dem österreichischen Niveau mittelfristig an. Schon jetzt sei es ratsam, sich auf das Ende des 24-Stunden-Modells vorzubereiten. "Wer soll, kann und will es auch langfristig machen." Die Langzeitpflege bietet beruflich viele Möglichkeiten, der Fachkräftemangel sei aber in ganz Europa spürbar.

Gefragt seien aber auch neue Konzepte für die Langzeitbetreuung und -pflege. Als Vorbilder könnten einmal mehr Länder wie die Niederlande, Schweden oder Dänemark dienen. "Eine 24-Stunden-Betreuung gibt es dort nicht." Dort wurden aber Dinge, für die es eine Ausbildung braucht, professionalisiert. Pflegende Angehörige bekommen für anspruchsvolle Tätigkeiten, beispielsweise das Wechseln eines Wundverbands, professionelle Unterstützung.

Denn die Anforderungen an Pflegende haben sich in den vergangenen 30 Jahren stark verändert, das gelte auch für die pflegenden Angehörigen. In den Niederlanden und Schweden werde verstärkt auf Primärversorgungszentren gesetzt, die den österreichischen Zentren sehr ähnlich sind, nur gibt es sie dort flächendeckend.

Kein Silo-Denken

Ein ganzheitlicher Blick wäre laut dem Experten wünschenswert. "Pflegelehre, Community-Nurses sind nur punktuelle Maßnahmen, die große Pflegereform lässt noch immer auf sich warten." Eine Möglichkeit wäre für Leichsenring die Umwandlung von Heimen in lokale Pflege- und Betreuungszentren, von denen aus die Pflege und Betreuung in der Gemeinde beziehungsweise im lokalen Umfeld koordiniert wird, wo sich Arztpraxen – besser noch: Primärversorgungszentren – ansiedeln und die Einsatzzentralen der mobilen Pflege integriert sind.

Hier würden auch Community-Nurses ihre Anknüpfungspunkte finden, um den in der Gemeinde lebenden Menschen mit Pflege- und Betreuungsbedarf sowie ihren pflegenden Angehörigen unterschiedliche Unterstützung, Beratung und Kurzzeitpflege anbieten zu können. "In Österreich wird aber vieles in Silos organisiert", sagt Leichsenring. Für die Qualität der Pflege sei das nicht förderlich. Ein integrativerer Ansatz verschiedener Professionen wäre im Bereich der Langzeitpflege wünschenswert.

Im Vergleich zu nordeuropäischen Ländern werden Personen in Österreich sehr schnell als pflegebedürftig eingestuft, sagt Leichsenring. "Das hat den Vorteil, dass hier präventiv geholfen werden kann – wenn diese Person die richtige Unterstützung bekommt." (Gudrun Ostermann, 8.3.2022)