Die wichtigsten Profiteure des russischen Präsidenten Wladimir Putin halten sich mit Kritik am Krieg zurück. Zu ihnen gehört auch Gazprom-Chef Alexej Miller.

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Düsterer könnte die Prognose kaum sein: "Nehmen Sie die Krise von 1998, und verdreifachen Sie sie", rät Oleg Deripaska seinen Zuhörern auf dem Wirtschaftsforum in Krasnojarsk. Mit gesenktem Kopf und tiefen Augenringen trägt der Oligarch seine Prognose in Sibirien vor. 1998 war das Jahr, in dem Russland seinen Staatsbankrott anmelden musste.

Die nächsten Wochen seien entscheidend, Deripaskas Schätzung nach ist die Zahl der Banken in Russland bald an den Fingern abzuzählen. Der austrophile Milliardär, der seit Jahren unter den Sanktionen lebt, spricht von einer "beispiellosen Herausforderung". Und dann fügt er hinzu: "Man hat mich sehr gebeten, das nicht zu sagen, aber ich bin für den Frieden."

Es ist ein erstes zögerliches Abrücken der Oligarchen vom System Putin, einem System, von dem sie auch jahrelang profitiert haben. Deripaska gehört dabei zu den Oligarchen der ersten Generation. Diese haben noch in den 90er-Jahren auf oft dubiose Weise ihr Kapital zusammengebracht. Mit diesem Geld rückten sie in einflussreiche Posten auf, die sie wiederum dazu nutzten, sich an der Privatisierung von Staatseigentum zu beteiligen und noch reicher zu werden.

Erste Forderungen nach Frieden

Von diesen Altoligarchen haben sich auch Michail Fridman, Roman Abaramowitsch, Wagit Alekperow, Leonid Fedun und der laut Forbes reichste Mann Russlands Alexej Mordaschow vorsichtig für eine Beendigung des Kriegs ausgesprochen, ohne aber Präsident Wladimir Putin zu kritisieren. Scharfe Kritik äußerten Bankier Oleg Tinkow und der Gründer der Hightech-Supermärkte M.Video Alexander Tinkowan, die aber beide als weit entfernt von der Kremlpolitik gelten und auf den bisherigen Sanktionslisten auch nicht auftauchten.

Die Oligarchen hingegen, die in der Putin-Ära aufstiegen und ihren Reichtum den guten Beziehungen zum Kremlchef zu verdanken haben, wie Gennadi Timtschenko, die Familie Rotenberg, Jewgeni Prigoschin oder Juri Kowaltschuk, schweigen oder lästern. Prigoschin dürfte sogar vom Krieg profitieren: Er gilt als Hintermann der Söldnertruppe "Wagner", die seit Jahren im Ukraine-Konflikt mitmischt. Zudem hat er große Staatsaufträge zur Proviantversorgung des russischen Militärs erhalten.

Putins Vertraute schweigen

Es schweigen auch die Chefs der großen Staatsunternehmen wie Igor Setschin (Rosneft), Alexej Miller (Gazprom), Sergej Tschemesow (Rostech), Nikolai Tokarjew (Transneft) oder Sergej Iwanow (Alrosa). Diese gelten als die eigentlichen Vertrauten Putins im Wirtschaftssektor. Auch wenn sie nicht als Milliardäre auf der Forbes-Liste auftauchen, sind sie die Oligarchen der Putin-Ära, verbinden sie doch Macht und Geld am stärksten miteinander. Insgesamt 70 Prozent der russischen Wirtschaft werden vom Staat – und damit von einer engen Clique – kontrolliert.

Hier fließen die Geldströme entlang, aus diesen Bereichen finanziert sich auch die seit Jahren betriebene Aufrüstung der russischen Streitkräfte. Der Einfluss dieser Gruppe auf Putin dürfte etwa genauso groß sein wie der der "Silowiki", also der Vertreter der russischen Sicherheitsorgane, die Putin zum Einmarsch in das Nachbarland geraten haben.

Viel Immobilienvermögen

Etliche der reichen Russinnen und Russen urlauben gerne in Österreich, investieren hier oder lassen sich an noblen Adressen nieder. Oligarchinnen und Oligarchen können hier auch aus dem Vollen schöpfen, was Prestige angeht: Skifahren in Lech, Konzerte in Salzburg, Oper in Wien.

Besonders deutlich wird das bei den russischen Immobiliengeschäften in Österreich: Das imposante "Waldschlössl" am Attersee etwa soll – über eine Liechtensteiner Stiftung – dem ehemaligen Vizepremier Igor Schuwalow gehören. Auch in der Wiener Innenstadt stehen dem Vernehmen nach zahlreiche teure Wohnungen im Besitz reicher Russinnen und Russen.

Wie viel Immobilienvermögen Oligarchinnen und Oligarchen in Österreich insgesamt haben, scheint niemand so genau zu wissen: Im Grundbuch werde die Staatsbürgerschaft nicht erfasst, teilt das Justizministerium mit – und selbst dann wären ja auch "normale" Bürgerinnen und Bürger mit russischem Pass betroffen, die eine Eigentumswohnung besitzen, und jene Oligarchinnen und Oligarchen nicht umfasst, die ihre Immobilien über Stiftungen oder Unternehmen mit Niederlassungen in Westeuropa gekauft haben.

Löchrige Datenlage

Damit können freilich auch andere Behörden umgangen werden. Nämlich jene Stellen, die in den Bundesländern für den Ausländergrunderwerb zuständig sind: Wenn Menschen ohne EU-Pass in Österreich ein Grundstück, ein Haus oder eine Wohnung kaufen wollen, ist das grundsätzlich genehmigungspflichtig. Was aber offenbar nicht notwendigerweise heißt, dass darüber auch Daten gesammelt werden. Wie das Büro des zuständigen Wiener Vizebürgermeisters Christoph Wiederkehr (Neos) erklärt, führt das zuständige Magistrat keine Statistik, welche Landsleute in Wien Immobilien gekauft haben.

Das Innenministerium erklärt auf Anfrage, dass die Oesterreichische Nationalbank berechtigt ist, Vermögenswerte einzufrieren, wenn die betroffenen Personen auf der Sanktionsliste stehen. Und das Außenministerium verweist darauf, dass die Sanktionsrichtlinie der EU unmittelbar gilt – was bewirkt, "dass sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren werden, die Eigentum oder Besitz von den gelisteten Personen oder mit diesen in Verbindung stehenden (natürlichen oder juristischen) Personen, Einrichtungen oder Organisationen sind, von diesen gehalten oder kontrolliert werden". Es würde also auch Immobilienvermögen der Sanktionierten "eingefroren" – was in der Praxis bedeutet, dass diese ihre Häuser und Wohnungen nicht verkaufen, vermieten oder verpfänden können. Enteignet werden sie nicht.

Wie viele solcher Immobilien in Österreich "eingefroren" sind, weiß das Außenministerium aber nicht. (André Ballin, Sebastian Fellner, 5.3.2022)