Was ist hier überhaupt echt? Die slowenische Fotografin Vanja Bucan stellt sich diese Frage wie viele ihrer Kolleginnen auf der Foto Wien.

Foto: Vanja Vukan

Fünf Jahre ist es her, dass die Blumenindustrie von der "Petunienkrise" getroffen wurde. Insgesamt 134 orange Petuniensorten mussten auf Geheiß des US-Department of Agriculture vernichtet werden, da sie das Ergebnis eines Genexperiments waren, das knappe zwanzig Jahre zuvor am Kölner Max-Planck-Institut durchgeführt wurde. Das Problem: Eine Zulassung für den Verkauf der orangen Petunien hatte es nie gegeben.

Diese aberwitzige, aber wahre Geschichte ist für Klaus Pichler Ausgangspunkt für ein Projekt rund um das globale "Petunienmassaker". Die tatsächlichen Fakten kombiniert der Wiener Fotograf mit einer fiktiven Rahmenhandlung, reale Schlagzeilen treffen auf Fake News, tatsächliche Namen von Petuniensamen auf frei erfundene: Trumpfarben nennt er einen der Orangetöne.

Als Buch hat Pichler seine Foto-Fiction bereits in kleinster Auflage veröffentlicht, jetzt stellt er den Fall rund um die "ermordeten Petunien" erstmals öffentlich vor. Bei der Foto Wien ist sein Projekt eines von vielen Highlights: Über 500 Künstlerinnen und Künstler versammelt das biennal stattfindende Fotofestival in den kommenden 16 Tagen an zahlreichen Standorten in der Stadt. Das Programmheft listet über 140 Ausstellungen auf.

Darunter sind selbstredend einige, die auch ohne das Festival zu sehen gewesen wären. Viele wurden aber eigens für die Foto Wien konzipiert. Ausgehend vom European Month of Photography widmeten in der Vergangenheit immer mehr europäische Hauptstädte den März der Fotografie. Vor zwei Jahren kam Lissabon dazu, im heurigen Jahr Brüssel. Wien ist seit Anfang an dabei, also seit 2004, auch wenn das Festival seine Struktur mehrmals verändert hat.

Aus Eyes On wurde Foto Wien

Vor drei Jahren versuchte man mit der aus dem Festival Eyes On hervorgegangenen Foto Wien schließlich einen Neuanfang. Als Festivalzentrale fungierte damals Otto Wagners Postsparkasse, insgesamt zählte das vom Kunst Haus Wien verantwortete Festival über 75.000 Besucher. Die auf viele Standorte aufgeteilte und oft recht stiefmütterlich behandelte Fotografie hatte zumindest für einige Wochen im Jahr eine Heimat gefunden.

Drei Jahre später (die Pandemie hatte die Verschiebung um ein Jahr notwendig gemacht) dient nicht mehr die Baustelle Postsparkasse, sondern das Atelier Augarten als Festivalzentrale. Und auch sonst scheint die Foto Wien erwachsen zu werden. Die Subventionen wurden auf 400.000 Euro angehoben, immer mehr lokale und internationale Projektpartner reihen sich unter das Label des Festivals ein. Die Professionalisierung der Foto Wien ist auch an den gezeigten Arbeiten ablesbar, die zumindest in der Festivalzentrale von zwei Themen dominiert werden.

Zum einen fokussiert man im Augarten auf eine Reihe internationaler Fotografinnen, zum anderen widmet man sich der fotografischen Wahrnehmung von Natur und Landschaft und damit einem Verhältnis, das immer brüchiger wird. Von Letzterem künden fast alle der gezeigten Arbeiten, seien es die blitzblauen Himmelsbilder einer Judith Huemer, die diese während der Pandemie schoß (keine Kondensstreifen!), oder die wunderbaren Aufnahmen der Südtiroler Dolomiten von Sissa Micheli, die sie mit Spiegeln und Steinen "verfremdete". Stefan Oláh fotografierte die historischen Schautafeln des zoologischen Instituts der Uni Wien, Georg Petermichl fängt auf seinen Bildern den Glass Beach in Nordkalifornien ein, wo 50 Jahre lang Müll im Meer deponiert wurde und der jetzt für seine geschliffenen Glasperlen geschätzt wird.

Schönheit mit Leerstelle

Diese heimischen Positionen werden von den fünf Nominierungen des European Month of Photography Arendt Award gerahmt, unter denen die Gewinnerarbeit des Duos Inka und Niclas Lindergard ob ihrer Einfach- und Eindrücklichkeit hervorsticht. Die Bilder der beiden Stockholmer Fotografen wurden an Aussichtspunkten diverser amerikanischer Nationalparks geschossen, das zentrale Motiv wurde allerdings immer durch eine Münze abgedunkelt. Die Schönheit oder, wenn man so will, die Erhabenheit der Natur ersetzen die beiden durch eine Leerstelle.

Beschäftigt sich die Ausstellung im Haupthaus mit der Konstruktion von Naturkonzepten, so sind es im anliegenden Ambrosi-Atelier jene von Weiblichkeit. Kuratorin Verena Kaspar-Eisert wählte zehn in Österreich weniger bekannte weibliche Positionen, die außer jener von Annagret Soltau, einer Vertreterin der Feministischen Avantgarde, allesamt jüngeren Datums sind. Die Chinesin Pixy Liao fotografiert sich als dominanten Part mit ihrem jüngeren Lover, die Afroamerikanerin Nakeya Brown untersucht Vorstellungen weiblicher Schönheit, die Spanierin Laia Abril widmet sich in ihrer fotodokumentarischen Arbeit dem Mythos Menstruation.

Gemeinsam sind ihnen die unterschiedlichen Zugänge in ihrer Dekonstruktion vermeintlicher Gewissheiten. Die Fotografie wird zum Befragungs- und Hinterfragungsmedium. Man sollte auf der Hut sein, wenn man sich auf sie einlässt. (Stephan Hilpold, 9.3.2022)