Erdgas aus Sibirien, für das Russland trotz Wirtschaftssanktionen täglich hunderte Millionen Euro aus der EU empfängt, ist ein wichtiger Faktor im Kontext des Ukraine-Krieges.

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Wie konnten wir bei den Erdgasimporten zuletzt so abhängig von einem einzigen Staat werden? Diese Frage hörte man in den letzten Tagen häufig. Und ebenso häufig: 80 Prozent. So hoch wird der Anteil von russischem Erdgas an den Importen nach Österreich eingeschätzt. Doch, so viel sei vorweggenommen, wir waren von russischem Gas schon stärker abhängig.

"80 Prozent", sagt auch eine Sprecherin von E-Control auf Nachfrage des STANDARD. Bei E-Control sollte man die derzeitige Quote russischen Gases kennen, immerhin handelt es sich um die für die Strom- und Gaswirtschaft zuständige Regulierungsbehörde in Österreich. Doch genaue Zahlen, wie viel Kubikmeter in welchem Jahr aus welchem Importland nach Österreich geleitet wurden, könne man nicht nennen, sagt die Sprecherin.

Dabei stellt das EU-Statistikamt Eurostat genau das auf seiner Website transparent zur Verfügung. Zumindest bis 2013. Demzufolge sank der Anteil russischen Gases seit 1990 kontinuierlich von 97 Prozent auf etwa zwei Drittel. Danach nehmen die nach Herkunftsländern segmentierten Daten jäh ein Ende, und es werden nur mehr Gesamtzahlen dargestellt.

Bei E-Control verweist man auf die Statistik Austria, wo die seither fehlenden Zahlen zusammenlaufen müssten. Eine Anfrage bleibt aber erfolglos. Zwar verfüge die Statistikbehörde über die Mengenverhältnisse, heißt es aus der Unternehmenskommunikation, sie seien aber "streng vertraulich" und nicht zur Veröffentlichung bestimmt.

Das liege an einem stattgegebenen Antrag auf Geheimhaltung eines eigentlich auskunftspflichtigen Importeurs. Wirtschaftliche Akteure können solche Anträge bei der Statistik Austria stellen, wenn sie wegen der starken Marktkonzentration identifizierbar wären und dadurch ihre wettbewerbspolitischen Interessen gefährdet sehen.

Rund fünf Prozent aller Außenhandelsdaten werden laut Statistik Austria derart unter Verschluss gehalten. Ob ein Vertraulichkeitsantrag positiv oder negativ bewertet werde, entscheide die Behörde nicht willkürlich, sondern nach einem Kriterienkatalog. Es könne aber sein, dass die Vertraulichkeitsklausel im vorliegenden Fall der Erdgasimporte in einem der nächsten Jahre aufgehoben wird, da die Gesuche jährlich erneuert werden müssen und die Marktumstände sich ändern könnten.

Neue Quelle in Ljubljana und Wien

Trotz Datengeheimhaltung tut sich schließlich eine weitere Quelle auf. Die in Ljubljana ansässige Agency for the Cooperation of Energy Regulators (Acer), also die EU-Energieregulierungsbehörde, veröffentlicht in einer Datenbank die Anteile der Herkunftsstaaten von Gaslieferungen für alle EU-Länder von 2015 bis 2019. Acer beruft sich in ihrer Quelle wiederum auf Energy Community, eine Organisation mit Sitz in der Wiener Innenstadt und dem Ziel, Rahmenbedingungen für Energiegeschäfte zwischen der EU und südosteuropäischen Staaten zu schaffen.

Laut diesen Daten blieb der Anteil von russischem Erdgas in Österreich auch in der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre relativ stabil bei rund zwei Drittel. Der Titel des zweitgrößten Exporteurs soll 2016 von Norwegen auf Deutschland übergegangen sein. Da Deutschland der weltweit größte Importeur von Erdgas ist, dürfte es sich dabei aber nicht um im Nachbarland geförderte Rohstoffe handeln, sondern um Wiederverkäufe von selbst importiertem Gas.

Kombiniert man die anteiligen Verhältnisse der Eurostat-Daten bis 2013 mit den Acer-Daten ab 2015, ergibt sich das vorliegende Bild.

Die Abhängigkeit von russischem Gas hat im langjährigen Vergleich also eher abgenommen. Falls die kolportierte Rate von nunmehr 80 Prozent stimmt, so kann sich die Proportion erst in den vergangenen beiden Jahren wieder markant in Richtung Russland verschoben haben – dürfte der Anteil 2019 doch noch bei 64 Prozent gelegen sein. (Michael Matzenberger, 11.3.2022)