EZB-Chefin Christine Lagarde hält die Zinsen vorerst unverändert tief, nämlich den Leitzins bei null Prozent und den Strafzins für Bankeinlagen bei minus 0,5 Prozent.

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Kritik von vielen Seiten erntete die Europäische Zentralbank (EZB) Anfang Februar für ihren wenig engagierten Fahrplan zur geldpolitischen Wende. Zu lax sei diese Haltung angesichts der hohen Inflation in der Eurozone, lautete der Tenor, worauf die Zinserhöhungsspekulationen ins Kraut schossen. Nun hat wegen des Ukraine-Kriegs der Inflationsdruck weiter zugenommen, aber gleichzeitig auch das Abwärtsrisiko für die Wirtschaft. Beides gleichzeitig zu bekämpfen ist nicht möglich – EZB-Chefin Christine Lagarde setzt nun offenbar doch auf ein schnelleres Tempo bei der geldpolitischen Wende.

Wie erwartet wurde der Leitzins am Donnerstag bei null Prozent belassen und der Strafzins für Bankeinlagen bei minus 0,5 Prozent. Zudem wird das Corona-Notfallprogramm Pepp, mit dem die Notenbank insgesamt Staatsanleihen im Volumen von 1,85 Billionen Euro erworben hat, wie angekündigt auslaufen. Das normale Kaufprogramm App wird auf 40 Milliarden Euro im April verdoppelt, danach auf 30 Milliarden im Mai und 20 Milliarden im Juni verringert. Ursprünglich sollten die Käufe erst im Oktober diese Summe reduziert werden.

Bedingung für Zinsschritt

Wie und ob es danach mit den Anleihenkäufen im dritten Quartal weitergeht, will die Notenbank später entscheiden. Ein Ausstieg aus dem Kaufprogramm gilt in der EZB als Voraussetzung für Zinsanhebungen. Allerdings verschaffte sich Lagarde mit Blick auf eine Zinswende mehr Spielraum: Sie werde "einige Zeit" nach dem Ende der Anleihen-Zukäufe vollzogen. Es bleibt also weiterhin offen, ob es tatsächlich bereits im zweiten Halbjahr zu einer Erhöhung kommt.

Lagarde zeigte sich entschlossen, das Mandat der Preisstabilität, also zwei Prozent Teuerung, ebenso zu erfüllen wie die Stabilität des Finanzsystems zu gewährleisten. "Der Russland-Ukraine-Krieg wird durch höhere Energie- und Rohstoffpreise, die Unterbrechung des internationalen Handels und ein schwächeres Vertrauen erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftstätigkeit und die Inflation haben", sagte sie am Donnerstag nach der Zinssitzung. "Wir werden für reibungslose Liquiditätsbedingungen sorgen und die von der Europäischen Union und den europäischen Regierungen beschlossenen Sanktionen umsetzen."

Die Prognosen für die Inflation in der Eurozone wurden angehoben. Sie könnte zwar kurzfristig hoch bleiben, sagte Lagarde, werde aber im weiteren Verlauf nachlassen. Für das laufende Jahr erwartet die EZB-Chefin 5,1 Prozent Inflation, für 2023 dann nur noch 2,1 Prozent. Sie erwartet also, dass sich die Inflation bei der Zielmarke wieder annähert, da sich auch die langfristigen Inflationserwartungen bei dem Wert stabilisiert hätten.

Inflationsdynamik unterschätzt

Lagarde räumte diesmal ein, dass die Risiken für die Inflationsentwicklung kurzfristig weiter nach oben gerichtet seien. "Es gibt gewaltige Unsicherheiten", betonte sie. Man behalte sich daher alle Optionen offen. Im Vorjahr hatte die EZB die Inflationsdynamik unterschätzt und war auch noch im heurigen Februar noch von einem Rückgang im Lauf des Jahres ausgegangen – was nun vom Tisch ist.

Gleichzeitig wurden die Wachstumsprognosen verringert. Die EZB erwartet aber immer noch für heuer eine 3,7-prozentige Zunahme der Wirtschaftsleistung, die im Jahr darauf auf 2,8 Prozent nachlassen werde, sagte Lagarde. Sie betonte aber auch, dass die Prognosen wegen der Auswirkungen des Ukraine-Kriegs derzeit mit hohen Unsicherheiten behaftet seien.

Andere Notenbanken voraus

Andere Notenbanken wie die Bank of England haben die geldpolitische Wende mit ersten Zinserhöhungen bereits vollzogen oder stehen knapp davor. US-Notenbankchef Jerome Powell wird dies aller Voraussicht nach am kommenden Mittwoch einleiten. Die Rechnung der Notenbank Fed dürfte so aussehen: Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf die US-Wirtschaft lassen nach. Die Inflation, die im Februar mit 7,9 Prozent den höchsten Stand seit Jänner 1982 erreichte, ist in der Bewertungsskala deutlich nach oben gerückt. Die kurzfristigen Folgen des Krieges in Europa, der Sanktionen und andere Unwägbarkeiten für die US-Wirtschaft sind eher ungewiss.

Wie schnell die Fed voranschreiten wird, ist allerdings noch ungewiss. War ursprünglich ein ungewöhnlich großer Schritt nach oben im Umfang von einem halben Prozentpunkt erwartet worden, spekulieren viele wegen des Ukraine-Kriegs nun nur mit einer Anhebung um einen Viertel Punkt. (Regina Bruckner, Alexander Hahn, 10.3.2022)