Ein Beatnik, Genie und Rebell zugleich, der versuchte, Leben und Literatur ineinanderfließen zu lassen: Kerouac-Tasse aus dem Beat Museum in San Francisco.

Foto: kerouac.com

Kennen Sie Edie Parker, Joan Haverty, Joyce Johnson oder andere Frauen, Freundinnen, Kolleginnen der Beat-Autoren? Kennen Sie Jack Kerouac (1922 – 1969)? Die oben Genannten unterstützten und inspirierten ihn zu Werken, welche ihn berühmt machten, sodass wir nun an seinen hundertsten Geburtstag denken. Und kennen Sie Jan Kerouac, seine Tochter, die er abtreiben lassen, nicht anerkennen wollte, die ihn bloß zweimal sehen durfte? Sie wurde ebenfalls Autorin und schaffte es, rastlos exzessiv lebend, mit 44 sogar früher zu sterben als ihr Vater.

Mit aller Kraft setzte Jack Kerouac seinen Körper ein, um Leben und Schreiben ineinanderfließen zu lassen, stimuliert durch Alkohol, Drogen und Meditation, auch um sich nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die Konsolidierung der USA und die atomare Aufrüstung zu stellen.

Doch was sagen uns diese Selbstversuche Jahrzehnte später? Dass der Verbrauch an Mitmenschen hoch ist, wenn man nur an sich denkt? Dass Frauen sich zwar befreien wollten, dass ihre Loslösung von traditionellen Strukturen jedoch rasch in dienenden Rollen und ungewollten Schwangerschaften endete? Dass selbst avantgardistische Verleger sie nicht drucken wollten, weil sie weiblich waren? Dass es aus dem Arbeitermilieu stammende Autoren, wie Kerouac, schwerer haben als solche aus wohlhabenden Kreisen, wie etwa W. S. Burroughs?

Was erzählen uns deren Werke heute. Aus der gerade erschienenen Biografie von Nicola Bardola, einer detailreichen Nacherzählung von Freund- und Liebschaften, Reiserouten, Unterkünften, Saufereien, Schreibsessions sowie kurzen Analysen der einzelnen Werke, ist zu erfahren, dass Kerouacs Vorname nicht Jack, sondern Jean-Louis war. Bis zu seiner Einschulung sprach Ti Jean, wie er genannt wurde, nicht Englisch, sondern Français québécois, mit seiner Mutter sogar sein Leben lang. Er war bilingual, las französische Autoren im Original.

Arbeiterkind

Obwohl er als Arbeiterkind einen Platz an der Columbia-Universität ergatterte, schmiss er das Studium hin, wurde Tankwart, Bauarbeiter, heuerte auf Schiffen an, arbeitete als Bremser bei der Eisenbahn. Eine erste Ehe scheiterte rasch, er experimentierte mit Drogen, trank viel, hatte aber eine ordentliche Handschrift, hielt sich von Anfang an für ein Genie, bewahrte deshalb alle Manuskripte für die Nachwelt auf.

Die Erkundung der Weite des amerikanischen Kontinents und der Tiefe des menschlichen Bewusstseins erforderte ein ständiges Unterwegssein. Eine Ankunft war nie wirklich möglich, wichtig war die Bewegung, fort vom Konventionellen. Auf Erschöpfung folgten dann Versuche einer Rückkehr, ein Stillstand auch wegen fehlender finanzieller Mittel, bis zum neuerlichen Aufbruch.

Die "rides" in Trucks und Autos von Menschen verschiedenster Herkunft ermöglichten dem Reisenden, das Land besser kennenzulernen. Doch ohne die Unterstützung seiner Mutter Gabrielle wäre Kerouac nie derart produktiv gewesen. Solang sie konnte, schuftete sie in Schuhfabriken als einfache Arbeiterin.

Versorgt

Dann nahm ihn 1949 endlich ein Verlag unter Vertrag, zahlte sogar Vorschuss. 1950 erschien The Town and the City. Er heiratete wieder. Das Paar zog zu seiner Mama. Seine Frau Joan verdiente Geld als Kellnerin dazu, versorgte den Autor mit Essen, Kaffee und Zuspruch. Sie hatte zwar das Talent zur Autorin, veröffentlichte aber nie. Erst die gemeinsame Tochter gab nach Joans Tod deren Memoiren unter dem sprechenden Titel Nobody’s Wife heraus.

Versorgt von zwei Frauen, arbeitete Kerouac an seinem nächsten Projekt in einer musikalisch akzentuierten, rhythmusbasierten Sprache. Eine erste Fassung von On the Road entstand innerhalb von drei Wochen. Die Schnelligkeit der Niederschrift sollte Selbstzensur verhindern.

Später wird er Anweisungen zum Free Writing formulieren: "Schreib weiter, nicht ändern oder zurückgehen, unwillkürlich, unbearbeitet, spontan, unbewusst, rein / 2. Kritzeln in geheime Notizbücher und wilde, maschinengeschriebene Seiten, zu deiner eigenen Freude / 3. Unterwürfig allem gegenüber, offen, lauschend / 4. Liebe dein Leben, jedes Detail darin / 5. Was du fühlst, wird seine eigene Form finden / 6. Sei ein verrückter Dummkopf im Geist."

Schreibfluss

Damit er den Schreibfluss nicht durch das Einspannen eines neuen Blatts in die Maschine unterbrechen musste, tippte er auf einer Rolle Zeichenpapier. Die Straße, das Unterwegssein materialisierte sich in dem beschriebenen Papier: "Du rollst es auf dem Boden aus, und es ist wie eine Straße."

Sie wird 2001 um 2,43 Millionen Dollar verkauft, ist damit teurer als Kafkas Prozess-Manuskript. Als Joan schwanger wurde, behauptete Kerouac, dass es nicht sein Kind sei, und verließ sie. Wieder war Geld knapp. Erfolglos klapperte er mit On the Road Agenturen und Verlage ab, arbeitete erneut als Bremser.

Er verliebte sich in eine junge Frau, halb schwarz, halb "native american", die ihn inspirierte, die er in The Subterraneans, das wie alle seine Schriften von Partys, Trinktouren, Kriminellen und Drogen handelt, Mardou nennen wird. Auch während des Schreibens nahm er Drogen: Alkohol, Aufputschmittel, Gras, Morphium. Alle Romane sind deutlich autobiografisch, nur die Namen der Protagonisten ändern sich.

Später plante Kerouac, sie zusammenzuführen, die Klarnamen zu nennen und zu vereinheitlichen. "Alle meine Romane gehören zu einer Geschichte – die Geschichte meines Lebens." Darin zeigt sich, dass er vor allem den Bewusstseinsprozess abbilden wollte, durch den er und seine Freunde gingen. Der jüngere Allen Ginsberg wohnte im desolaten East Village. Die Wohnungen waren in schlechtem Zustand, mit Wasserrohren, die leckten, kakerlakenverseucht und belagert von Junkies, die für eine nächste Ration auf Raubzug gingen.

Sehnsucht nach Gemeinschaft

Geprägt von den prekären Lebensumständen begann Ginsberg, die Arbeit der Beats als "garbage culture" zu bezeichnen: Sie beschäftigten sich mit dem, was die etablierte Gesellschaft der 50er-Jahre übrig ließ und als wertlos betrachtete. 1956 erschien sein Langgedicht Howl bei City Lights Books und wurde ein Skandal.

Kerouac hingegen fand weiter keinen Verlag für On the Road, überarbeitete den Text mehrmals. Wiederholt zog er sich in die Natur zurück, meditierte, las Bücher über Buddhismus. Einen Sommer verbrachte er als Feuerwächter hoch auf einem Berg, verfasste Haikus.

Die Stimmung war düster. Befreit von äußeren Einflüssen spürte er nur Selbsthass und sehnte sich nach Gemeinschaft. Er brauchte hilfreiche Menschen. Seine Mutter war der Ort, an den er immer wieder zurückkehren konnte. Dazu kam eine neue Geliebte, die 13 Jahre jüngere Joyce Johnson. Sie steht paradigmatisch für viele der Frauen der Beats.

Doch wird sie später selbst zur Autorin und über ihre Zeit mit dem Autor im 1983 veröffentlichten Memoir Minor Characters schreiben. Kerouac zog in ihre kleine New Yorker Wohnung, wo sie ihm den geregelten Alltag bot, den er brauchte, um sich von Exzessen zu erholen. Als 1957 On the Road veröffentlicht wurde, war er auf einen Schlag berühmt und galt als Auskunftsperson der Beat-Generation.

Exzess

Lang hielt es ihn nicht in geregelten Verhältnissen, er reiste nach Marokko, wo sein Freund Burroughs lebte, der dort seine versehentliche Ermordung seiner Ehefrau literarisch verarbeitete. In Tanger gab es günstig junge Männer und Drogen. Burroughs, Erbe einer mit Rechenmaschinen reich gewordenen Familie, schöpfte aus dem Vollen, logierte im Hotel El Muniria.

Kerouac wollte von den Exzessen profitieren, doch eine Überdosis Opium setzte ihn gleich zu Anfang außer Gefecht. So sammelte er die von Burroughs beschriebenen Seiten ein und tippte auf der Terrasse das Werk seines Freundes ab, Naked Lunch, das dessen Durchbruch bedeutete.

Das Wanderleben setzte er fort, nur dass er diesmal Freundin und Mutter mitnahm, ein Haus nach dem anderen erwarb und wiederverkaufte. Das konnte er sich jetzt leisten. Sein Roman hatte Geld gebracht. Doch obwohl er beteuerte, dass Beat sich vom lateinischen "beatus" herleite, also Glückseligkeit bedeute, gelang es ihm nicht, diesen Zustand zu erreichen. Er vertrug den Ruhm nicht, trank und kiffte zu viel, war unausstehlich. Er trennte sich von Joyce, heiratete noch einmal, versuchte, sich in den Clan seiner Frau Stella Sampas einzufinden. Bald starb er, mit nur 47.

Nicola Bardola, "Jack Kerouac. Beatnik, Genie, Rebell. Die Biographie". 22,70 Euro / 368 Seiten. Goldmann, München 2022
Credit: Goldmann

Was danach geschah

Das Spannende an Bardolas Kerouac-Biografie ist die Schilderung dessen, was danach geschah. Mithilfe eines gefälschten Testaments gelangten seine Schriften in die Hände von Stellas Familie. Bereits 2005 belief sich der Wert des Nachlasses auf ca. zehn Millionen Dollar. Bardola beschreibt die Schwierigkeiten, an Originalmaterial zu kommen, macht klar, wie kompliziert es ist, den Lebensweg eines Chaoten nachzuzeichnen, wenn die Erben nur daran interessiert sind, alle Dokumente in bare Münze umzuwandeln.

Eine traurige Ironie: So sehr Kerouac dem Kapitalismus und gängigen sozialen Strukturen entkommen wollte, so sehr wird nun sein Nachlass davon bestimmt. Den einzigen Lichtblick, den Bardola nennt, ist die Beauftragung einer neuen, vom Clan eingesetzten Biografin, die hoffentlich die weibliche Seite der Beats berücksichtigen werde.

Eine von ihnen, Ruth Weiss, 1928 in Wien geboren, floh vor den Nazis in die USA. Auch sie reiste per Autostopp durch den Kontinent und lernte 1952 Kerouac kennen. Er schätzte ihre Haikus. Trotzdem lehnte City Lights Books eine Publikation mit dem Argument ab, dass der Verlag keine Frauen veröffentliche.

Weiss wurde in den 1980er-Jahren von Christian Ide Hintze und Christian Loidl nach Wien eingeladen, um an der Schule für Dichtung, die inspiriert von der Jack Kerouac School of Disembodied Poetics gegründet wurde, zu unterrichten. Joyeux anniversaire, Ti Jean! (Sabine Scholl, ALBUM, 13.3.2022)