Als die russischen Truppen am 24. Februar in die Ukraine einmarschierten, war das Pinchuk Art Centre im historischen Stadtviertel von Kiew gerade geschlossen. Wenige Tage später wäre die laufende Ausstellung Future Generation mit Werken von 21 Künstlern unterschiedlicher Nationalität zu Ende gegangen. Ein Abtransport war nicht mehr möglich, alternativ blieben die Einlagerung im Kellergeschoß und das Verbarrikadieren des Museums.

Jeff Koons "Hanging Heart" gehört dem ukrainischen Oligarchen Wiktor Pintschuk. 2007 ließ er es bei Sotheby’s für 23,56 Millionen Dollar ersteigern.
Foto: Sotheby’s

Seit seiner Eröffnung 2006 beherbergt es auch die Kunstsammlung des milliardenschweren Oligarchen Wiktor Pintschuk, der, einem Bericht von Vanity Fair zufolge, seine Geburtsstadt schon am Tag vor der Invasion verlassen hat: Wenige Stunden nach einem Treffen mit Präsident Wolodymyr Selenskyi, so heißt es, sei er mit seiner Gulfstream G6 Richtung London abgehoben. Dort befindet sich der Firmensitz seines Unternehmens, einer internationalen Investment-, Projekt finanzierungs- und Finanzberatungsgesellschaft.

Herz in Kiew

Ob das Privatmuseum des Philanthropen jüdischer Herkunft das Bombardement unbeschadet übersteht, ist mehr als fraglich. Es ist das größte auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion mit Schwerpunkt auf zeitgenössische Kunst, insbesondere auf ukrainische Kunst seit den 1980er-Jahren und um hochkarätige internationale Positionen ergänzt: darunter Jeff Koons Hanging Heart, das Larry Gagosian im November 2007 im Auftrag Pintschuks für 23,56 Millionen Dollar bei Sotheby’s in New York ersteigerte. Oder auch Andreas Gurskys Diptychon 99 Cent II, das er sich im gleichen Jahr ebenfalls bei Sotheby’s für 3,33 Millionen Dollar aus dem Angebot fischte. Damals der höchste Preis, der je für eine Fotografie bezahlt worden war.

Weltrekorde in London

Rund 2100 Kilometer Luftlinie von Kiew entfernt lief in der Kunstmarktmetropole London vergangene Woche vordergründig alles seinen gewohnten Gang. Über Auktionen wechselten Kunstwerke im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro den Besitzer, neue Weltrekorde inklusive: umgerechnet 71,5 Millionen Euro für René Magrittes L’empire des Lumières bei Sotheby’s etwa oder 51,1 Millionen Euro für Franz Marcs Die Füchse bei Christie’s.

Die internationale Klientel ließ sich die Kauflaune vorerst nicht verderben. Noch, denn die Auswirkungen werden zeitversetzt spätestens in der Sommersaison aufschlagen, ist Dirk Boll, Christie’s-Präsident für die Regionen EMEA (Europe and UK, Mid dle East and Africa), überzeugt. Anders als noch in den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren sei die Beteiligung russischer Sammler keine nennenswerte mehr, und die Sanktionen betreffen wiederum nur einen Teil der Klientel. Allerdings eine besonders zahlungskräftige, geläufiger unter dem Begriff Oligarchen, von denen einige auf der Liste der EU, Großbritanniens und der USA landeten.

Profit mit Oligarchen

Darunter etwa Boris Rotenberg, ein Jugendfreund Wladimir Putins, sowie sein älterer Bruder Arkadi Rotenberg. Ihnen gehört das größte Bauunternehmen für Gaspipelines in Russland (SMP Group), ein Hauptauftragnehmer von Gazprom. Die Brüder waren bereits 2014 von der US-Regierung mit Sanktionen belegt worden.

Ein Bericht in den Panama Papers enthüllte allerdings später, dass sie dessen ungeachtet weiterhin ihre Leidenschaft für Kunst pflogen: Einem 7,5 Millionen Dollar schweren Privatverkauf von Magrittes La Poitrine folgte laut The Art Newspaper ein Kaufrausch bei Sotheby’s im Umfang von 6,8 Millionen Dollar.

Ebenfalls auf der Liste steht Pjotr Awen, der mit der Alfa Group die größte Geschäftsbank Russlands leitet. Er ist als begeisterter Sammler russischer Kunst bekannt und besitzt namhafte Werke von Natalija Gontscharowa oder Wassily Kandinsky. Die Gärten seiner Liegenschaft in der britischen Grafschaft Surrey bevölkern wiederum Skulpturen von Lynn Chadwick, Henry Moore oder Louise Bourgeois. Insgesamt soll Awens in Moskau und im Süden Englands stationierte Sammlung an die 100 Millionen Dollar schwer sein.

Russische Unternehmen unter Druck

Rotenberg und Awen sind nur einige jener Oligarchen, von denen der internationale Kunstmarkt, sowohl Auktionshäuser als auch Galerien sowie Künstlerinnen und Künstler, seit Jahrzehnten profitiert. Mit all jenen, die bereits offiziell sanktioniert wurden oder noch werden, sind Geschäfte bis auf weiteres untersagt. In den Compliance-Abteilungen der Auktionshäuser laufen die Arbeiten auf Hochtouren.

Ob und wie viele Transaktionen mittlerweile storniert wurden, ist nicht bekannt: Betroffen davon wären nicht nur Einbringer, sondern auch Käufer, selbst wenn der Betrag schon überwiesen worden wäre.

Zeitgleich geraten jetzt auch im Westen angesiedelte Unternehmen russischer Eigentümern unter Druck, über die bislang keine Sanktionen verhängt wurden.

Elefant "Phillips"

Der prominenteste und größte Elefant im Raum: das Auktionshaus Phillips, das seit 2008 zur Mercury Group gehört, dem größten Einzelhandels- und Immobilienkonglomerat Russlands. Dem Vernehmen nach zahlten die beiden Eigentümer damals an die 60 Millionen Dollar: Leonid Friedland und Leonid Strunin, die in Monaco und Zypern residieren und von westlichen Sanktionen nicht betroffen sind. Ob sie in der Umkehr solche von russischer Seite zu befürchten haben, wird sich weisen.

Denn im Vorfeld der in London anberaumten Versteigerungen hatte sich CEO Stephen Brooks am 28. Februar auf dem Instagram-Account des Auktionshauses zu Wort gemeldet: Begleitet von einer an die ukrainische Flagge erinnernden blau-gelben Abstraktion von Ellsworth Kelly bekundete er die Solidarität mit der Ukraine, verurteilte die Invasion "aufs Schärfste" und forderte "die sofortige Einstellung aller Feindseligkeiten".

Ergebnis war eine Social Media typische Mischung aus Shitstorm und Boykottaufruf. Noch vor der am 3. März in London anberaumten Abendauktion kündigte man an, die in diesem Sale erzielten Provisionen zu spenden. Am Ende kamen 5,8 Millionen Pfund, umgerechnet fast sieben Millionen Euro, zusammen, die – im Einvernehmen mit den Eigentümern – an die ukrainische Rotkreuzgesellschaft überwiesen werden: Diese Wohltätigkeitsorganisation, so Brooks, "leistet unglaubliche Arbeit, um die Menschen in der Region zu unterstützend und zu schützen". (Olga Kronsteiner, ALBUM, 12.3.2022)