Traditionell schlägt heute jemand im Prater ein Fass an. Meistens ist es jemand von Prominenz, den Traditionen verlangen ja nachgerade nach Würdenträgern, egal, wie hoch sie diese tragen. Dann ist o’zapft oder wie das heißt, das Bier kann fließen, her damit.

Heute eröffnet Dompfarrer Toni Faber die Saison im Schweizerhaus. Wer gerade erst seit fünf Minuten in Österreich ist: Das Schweizerhaus ist der berühmteste heimische Biergarten. Ein Soziotop, das rund um böhmisches Bier und derbe Fleischkreationen Menschen zusammenbringt, die sich im Zeitalter der Blasen sonst nur selten treffen würden. Im Schweizerhaus zu sitzen ist deshalb immer ein wenig wie Urlaub, da kommt man auch oft mit Leuten zusammen, deretwegen man unter regulären Bedingungen die Straßenseite wechseln würde – was fast immer ein Fehler ist.

Während nach Bier Dürstende und von Stelzen Entwöhnte nach langen, dunklen Monaten ihre ersten zehn, zwanzig Budweiser verinnerlichen werden, wird mitten unter ihnen einer sitzen, der eine Schokotorte isst. Das wäre dann ich.

Es ist, zugegeben, ein wenig konditoreitantig zum Zwecke einer Tortenverzehrung ausgerechnet ins Schweizerhaus zu gehen. Schokotorten gibt es in Wien ja in jeder zweiten Vitrine. Aber die im Schweizerhaus ist schon sehr, sehr leiwand. Vor allem, wenn man dazu ein Mischbier nimmt.

Jetzt ist es raus, ein guilty pleasure, eine kleine Alltagsperversion: Budweiser und Schokotorte, darauf steh ich. Habe ich schon erwähnt, dass die Torte mit Schlag kommt? Tut sie. Massig Schlag. Das ergibt ein stimmiges Bild.

Mäandernder Gletscher

Wie Zwillinge stehen die beiden Bestellungen vor mir, einst von der kalten Jahreszeit getrennt, nun aber unter dem Flügelschlag der ersten frechen Spatzen im Gastgarten wieder vereint, um Kalorien und Glück zu spenden. Da die weiße Haube des Biers, hier ein Gletscher aus Schlag, der auf dem keilförmigen Tortenstück talwärts mäandert. Unten ankommen tut er natürlich nie, da bin ich, das Nährgebiet, zu schnell.

Die Kellner reagieren verhalten amüsiert auf diese kulinarische Exotik, mitunter ringt ihnen mein dergestalt zusammengestellter Fitnessteller einen gewissen Respekt ab, andere ziehen die Braue hoch. Doch die meisten sind ganz andere Exzesse gewohnt, um länger darüber nachzudenken. Wer einem vierköpfig besetzten Tisch um zwei Uhr nachmittags eine Rechnung stellt, auf der drei Stelzen, 24 Bier und eine zweistellige Zahl an Schnäpsen vorkommen, diverse Tütü-Beilagen jetzt gar nicht erwähnt, der nimmt so einen Schokotortentiger kaum als Exzentriker wahr. In diesem Sinne: Prost, Mahlzeit. (Karl Fluch, 15.3.2022)