Das Wort "Lügenpresse", das schon die Nationalsozialisten in Verbindung mit Antisemitismus und Verschwörungstheorien bemühten, hat weiter Hochkonjunktur: bei "Maßnahmenkritikerinnen", Verschwörungserzählern und Fans von Putin, der nicht als Kämpfer für die Pressefreiheit bekannt ist.

Foto: Markus Sulzbacher

Erneut haben sich einige Tausend Maßnahmengegner am vergangenen Samstag in der Wiener Innenstadt versammelt, um gegen die (ausgesetzte) Impfpflicht zu demonstrieren. Dabei traten Corona-Leugner als beherzte Putin-Fans in Erscheinung. Neben Österreich- und Reichsflaggen wehten auch Russlandfahnen, aus einem Lautsprecher tönte die russische Nationalhymne. Mehrere Redner rechtfertigten den Angriffskrieg Russlands, einer argumentierte mit dem vermeintlichen ukrainischen Atomwaffenarsenal.

Bedrängt, bedroht, angepöbelt

Angeführt wurde der Demonstrationszug auch mit einem Frontbanner, auf dem lapidar "Lügenpresse" zu lesen war. Dazu passend wurden Journalisten und Journalistinnen von Demonstrierenden bedrängt, bedroht und angepöbelt, um sie bei ihrer Arbeit zu behindern. Irritierend für Beobachter: Anwesende Polizisten und Polizistinnen schauten tatenlos zu.

Ein Video über das Bedrängen des freien Journalisten Michael Bonvalot. Es war nicht der einzige Vorfall am Samstag.

Ein Widerspruch zu den Aussagen des Innenministers Gerhard Karner (ÖVP), der erst vor wenigen Wochen sagte, wenn bei Corona-Demonstrationen "Journalistinnen und Journalisten, die ihre Arbeit machen, bedroht oder gar attackiert werden, ist eine rote Linie überschritten". In diesen Fällen werde "die Polizei konsequent einschreiten". Davon war am Samstag wenig zu bemerken.

Unsichtbare "rote Linie" des Ministers

Seitens der Wiener Polizei wird zu den Vorfällen am Samstag auf Nachfrage am Montag betont, dass sie nur eingreifen könne, wenn es zu strafrechtlich relevanten Handlungen komme. Zwar mögen "lautstarke Wortgefechte bzw. das Verstellen einer Kamera, damit man nicht gefilmt wird", für den betreffenden "Journalisten unangenehm sein und als störhaft empfunden werden, stellt aber für sich alleine per se nicht zwingend eine strafrechtlich relevante Handlung dar", erklärt die Polizei in einer Stellungnahme.

Deswegen mahne sie bei Demonstrationen immer ein "gewisses Maß an Eigenverantwortung ein, dass man sich im Sinne der Deeskalation auch mal zurücknehmen kann, um eine Situation nicht unnötig eskalieren zu lassen".

Nachdem die Impfpflicht ausgesetzt wurde, demonstrierte man am Samstag in Wien trotzdem gegen den "Impfzwang" weiter. Diesmal auch mit russischen Flaggen.
Foto: Markus Sulzbacher

Wie angespannt das Verhältnis am Samstag war, zeigt ein skurril anmutender Vorfall.

Als eine Journalistin und ihre Begleitung von mehreren Demonstranten bedrängt und attackiert wurden, eilten Polizisten herbei – allerdings um die Journalistin aufzufordern, "die Demonstrierenden nicht zu provozieren".

Dieses Video zeigt den Vorfall.

Auch sollten die Journalistin und ihre Begleiter den Beamten ihre Ausweise zeigen. Was auch gemacht wurde. Gleichzeitig konnten die teilweise vermummten Angreifer ungeschoren weiterziehen.

Unverständlich, wie die Journalistin sagt. Dieser Vorfall ist der Pressestelle der Polizei nicht bekannt, es wird jedoch trotzdem betont, dass Personen, die sich "zu Unrecht beamtshandelt gefühlt haben", die Möglichkeiten der Beschwerde bzw. von Rechtsmitteln zur Verfügung stehen.

Keine Medienkontaktbeamten

In der Vergangenheit hat die Wiener Polizei Beamte abgestellt, die telefonisch erreichbar waren, falls es zu Übergriffen seitens Demonstrierender oder zu Problemen bzw. Unstimmigkeiten mit der Polizei kam. Diese Medienkontaktbeamten waren am Samstag nicht im Einsatz, da diese nur bei großen Demonstrationen im Einsatz sind. Auch habe "die Inanspruchnahme rapide" abgenommen, und es sei offenbar "vonseiten der Medienvertreter das Bedürfnis danach nicht mehr wirklich gegeben" gewesen, heißt es dazu. (Markus Sulzbacher, 15.3.2022)