In privaten Gesprächen scheint dieser Tage und Wochen ein besonderer Satz wiederholt aufzutauchen: Ich möchte Putin am liebsten umbringen. Zunächst klingt der Satz wie ein Versuch, aus der Ohnmacht, die die Bilder der Zerstörung und des Leids auslösen, herauszufinden. Friedensproteste werden täglich abgehalten. Auch dort verhallt der Satz, spontan, zwischen den kollektiv ausgerufenen und medial übertragenen Slogans. Die seelische Belastung ausgelöst durch Putins Aggression hat uns alle bereits in einer Form erfasst, jedoch stellt sich auch die Frage, ob die Art und Weise, wie diese Belastung von uns allen erfahren und absolviert wird, nicht auch zur gefährlichen Eskalation der Situation beiträgt.

Das Schaffen von Wahrheit ist schwere und teils schmerzliche kollektive Arbeit. Die meisten errungenen Wahrheiten bleiben unvollkommen und lassen Raum zum Zweifeln. Das ist auch gut so. Jedoch bleibt eine Sorte der Wahrheit ausgenommen. Der Wunsch, einmal ausgesprochen, etwas möge geschehen, etwas möge wahr werden, entsteigt aus dem Inneren der Psyche und erspart sich den Weg über die nur bedingt vertrauenswürdigen Kanäle der Sinnesorgane.

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Der Hass auf Putin und die Solidarität mit der Ukraine haben sich bis nach L.A. (siehe Bild) verbreitet.
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So verstanden, kann der eingangs nur im Vorübergehen bemerkenswerte Todeswunsch doch etwas sein, mit dem man sich ernsthaft auseinandersetzen sollte.

Aufnahmen der Sitzung des russischen Sicherheitsrates am 21. Februar sind irritierend, einzelne Ausschnitte sorgten für Aufsehen. In einem imperialen Raum abgehalten, Putin hinter einem massiven Tisch, die geladenen Bürokraten auf dünnbeinigen Sesseln, ihre Körper ungeschützt zur Schau freigegeben. Vorformulierte Reden werden abgespult. Man wird an Szenen der stalinistischen Schauprozesse, erst kürzlich durch den ukrainischen Filmemacher Sergej Loznitsa im Dokumentarfilm Prozess aufbereitet, erinnert.

Todesurteile stehen hier wie dort im Raum, das tödliche Thema der Sitzungen wiederholt sich in verfeinerter Form im szenischen und somatischen Diskurs der Akteure. Diese imponieren durch krampfhafte Gesten, die Sprache wirkt starr, Spontanität fehlt oder wirkt gekünstelt, nimmt die Form von scheinbar erregten Tiraden gegen unsichtbare Andere oder gegen das Selbst an.

Der Abstand zwischen Putin und den Ratsmitgliedern ist aufs Äußerste gedehnt und trägt zur grotesken Wirkung bei. Abstand, so haben wir selbst erfahren, kann zu Isolation führen. Ist nun die von Putin betriebene räumliche Vereinzelung, am Ende eines unglaublich großen Tisches, eine imperiale Geste oder ein Akt der Selbstbergung durch Rückzug?

Der Begriff des sozialen Todes bezeichnet einen Zustand, in welchem die Erlebniswelt eines Individuums von einer akuten und dauerhaften Unfähigkeit, stabile und sinnvolle Beziehungen zu bilden, gekennzeichnet ist. Rückzugsprozesse, entweder durch eine psychische Beeinträchtigung, wie im Falle von psychotischer Wahnhaftigkeit, oder aber durch einen orchestrierten Rückzug der umgebenden Gesellschaft, bestimmen das Bild. Verbindungen zur symbolisierten Umgebung sind unterbrochen, das Individuum ist nicht mehr in der Lage, seine Identität durch Interaktionen zu nähren. Die Konsequenzen sind seelische Erschöpfung sowie überschießende Verfolgungsängste und münden in Verzweiflung und Selbstauflösung.

Umgangssprachliche Begriffe hierfür finden sich in den Schlagzeilen: Paria, Hexenjagd. Der Renegat, der Ausgestoßene, der Vogelfreie, der Unberührbare und nicht zuletzt der Staatsfeind sind kulturhistorische Variationen des Phänomens, in dessen Folge ein Subjekt gegen seinen Willen entwurzelt und ausgestoßen wird, den Schutz der Gesellschaft verliert und zum projektiven Ziel einer Gruppe wird.

Putins Verfolgungsängste

Vielleicht hilft es, sich anzusehen, was sonst so im Raum passiert. Putins Vasallen werden Geständnisse extrahiert: Sprich deutlich, Sergej. Diese sind nun nachweislich und für alle sichtbar an der Tat beteiligt, und somit ist auch die Hoffnung auf Versöhnung mit der Umgebung verloren. Die Geschichtsschreibung, die russische Bevölkerung, die Welt werden ihnen nicht mehr Nachsicht gewähren.

Putin genießt den zweifelhaften Luxus, seine eigenen Verfolgungsängste, deren Ursprünge Spekulationen Anlass geben, aber letztendlich verborgen bleiben werden, auf den gesamten Planeten zu projizieren. Sich von der Figur des allmächtigen Bösen zu lösen scheint schwierig.

Betrachtet man die Veränderungen der gesellschaftlichen Verarbeitungsprozesse, so lässt sich, losgelöst von der Frage der Schuld des Einzelnen, ein Vorgang beobachten, den der britische Psychoanalytiker und Panzerkommandant im Zweiten Weltkrieg, Wilfred Bion, als "attacks on linking" bezeichnet hat: Im Angesicht von Widersprüchen, die zu schmerzlich erlebt werden, um miteinander vereinbart oder versöhnt zu werden, greift die Psyche auf archaische Abwehrmechanismen zurück. Der Zustand kann nur noch durch einen zersetzenden Angriff auf das dialektische Denken, eine in sich erst kürzlich erworbene und daher fragile Fähigkeit und unerlässliche Basis für Selbstbeherrschung, gelöst werden.

In der Folge werden Kreativität und Lebendigkeit, die durch Verbindungen, durch Assoziationen, durch spielerisches Lösen von Gegensätzen gekennzeichnet sind, im Kampf um das seelische Überleben gnadenlos und unwiederbringlich zersetzt. In Putins anhaltendem Feldzug gegen Inklusion und Vielfalt lässt sich ein ähnlicher Vorgang erkennen.

Der Lage nicht entziehen

Eine Ausbreitung der Unfreiheit, nicht zuletzt auch durch die Isolationsprozesse während der Pandemie angefeuert, hat Einzug in unser Leben gehalten. Spaltungslinien, teils mitten durch die Gesellschaft, verhärten sich. Gut gegen Böse. Das Festhalten an sichtbaren Fronten bringt zwar eine prekäre Form der Erleichterung und Ordnung, erodiert aber gleichzeitig die Fähigkeit, Widersprüche miteinander vereinbaren zu können.

Der dringlich gewordenen Frage, wie sich die gegenwärtige Lage entwickeln wird, kann man und sollte man sich nicht entziehen. Stellt man sich dieser, so wird auch die Frage, inwieweit Putin, der sich gefährlich in einen unkorrigierbaren Zustand des sozialen Todes manövriert hat, die Todeswünsche, die nun an seiner Person kondensieren, bewusst sein könnten und welche Folgen sein Wissen hierum haben würde, nicht zu umgehen sein.

Putins Diskurs scheint sich täglich mehr und mehr von der Kontaktebene, die durch kollektiv geteilte Fantasie von Vernunft und Gemeinschaftssinn gebildet wird, zurückzuziehen. Dieser Rückzugsprozess, der von den Sanktionsbestrebungen der Umwelt gespiegelt wird, führt zur Verhärtung der Lage. Der Führer in seinem Bunker. Wird es möglich sein, dass er eines Tages vor seinem Spiegel stehend sagen wird: Hey, ich bin einer der mächtigsten Männer auf dieser Welt, wäre es nicht fein, dieses Geschenk doch dazu zu nützen, um diesen Planeten etwas lebenswerter zu gestalten? Man kann nur spekulieren. Bis dahin wird sich zeigen, welche Formen und Farben diese Sezession, die die geopolitische Arena nun ergriffen hat, annehmen wird, wo das Gleichgewicht der rationalen, durch Liebe und Mitgefühl betriebenen und irrationalen, durch Selbsterhalt befeuerten Kräfte wiedererlangt wird und wie hoch der humanitäre Preis sein wird, der uns hierfür abverlangt wird.

Schuldgefühle und Ohnmacht

Meine Rolle im psychoanalytischen Setting bedingt es, durch affektive Landschaften zu navigieren, ein Verständnis für Bedürfnisse und Zustände zu entwickeln. Im Zuge meiner Arbeit mit Patienten und Patientinnen habe ich sowohl spielerische Verarbeitungsweisen erfahren können – wo sich jemand gestatten kann, dies mit jenem zu verbinden, Fantasien und Formen zu bauen – wie auch Schicksale, die unter ungünstigeren Bedingungen heranreifen mussten, wo kriegsähnliche Zustände, fiktives oder erlebtes Ringen von Leben und Tod, auf der Tagesordnung stehen und die letztendlich von der Abwesenheit des Spielerischen geprägt sind.

Angesichts der aktuellen Lage erscheint es als eine moralische Bürde, sich Freude und Kreativität unbeschwert hinzugeben. Schuldgefühle und Ohnmacht wiegen schwer. Ist es aber nicht gerade die Lebendigkeit, die Freude am Sein, die hier unter Beschuss gerät und die es zu verteidigen gilt, gerade weil es schwerfällt? (Titusz Tarnai, 20.3.2022)