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Biosprit wird meist anderen Treibstoffen beigemischt. In Österreich macht er aktuell rund sechs Prozent der Treibstoffe aus.

Foto: Reuters/Jason Reed

Lebensmittel sind immer kostbar, aber gerade in den vergangenen Wochen sind sie noch einmal kostbarer geworden. Denn durch den Krieg in der Ukraine drohen Exportausfälle. Die Ukraine und Russland erzeugten bisher fast ein Drittel der weltweiten Weizenexporte, 15 Prozent der Mais- und 75 Prozent der Sonnenblumenölexporte. Dadurch könnten die globalen Lebensmittelpreise dieses Jahr um 20 Prozent steigen – vorausgesetzt, der Klimawandel oder die Pandemie tragen nicht noch ihren Teil zu weiteren Preissteigerungen bei. Hunderte Millionen Menschen, vor allem in importabhängigen Staaten Afrikas, fürchten eine drohende Hungerkatastrophe.

Umso paradoxer erscheint es für einige Menschen, wenn währenddessen in vielen europäischen Ländern, darunter auch Österreich, Lebensmittel als Sprit verheizt werden. Knapp 300.000 Tonnen Biodiesel hat Österreich laut Klimaschutzministerium 2020 hergestellt, weitere 100.000 Tonnen aus dem Ausland importiert. Insgesamt machen Biokraftstoffe hierzulande circa sechs Prozent aller Treibstoffe aus.

"Nachwachsender" Treibstoff

Biosprit ist im Grunde ein "nachwachsender" Treibstoff, da er etwa aus Raps, Weizen, Mais oder Soja hergestellt wird. Seit mehr als 15 Jahren wird er hierzulande an allen Tankstellen fossilen Kraftstoffen beigemischt. Indem er Diesel und Benzin teilweise ersetzt, soll er die CO2-Emissionen im Verkehr reduzieren. Denn Biosprit ist laut Herstellern beinahe CO2-neutral: Es wird nur jenes CO2 freigesetzt, das vorher von den Pflanzen gebunden wurde, zuzüglich der Emissionen, die beim Anbau und beim Transport entstehen.

Soweit zumindest die Theorie. Denn in der Praxis heißt das "bio" in Biosprit nur, dass er aus Pflanzen gemacht wird. Eine ökologische Landwirtschaft braucht es dafür nicht. Ganz im Gegenteil: In vielen Ländern beruht Biosprit auf Monokulturen riesiger Raps-, Mais- oder Ölpalmfelder, denen häufig Wälder und andere Ökosysteme zum Opfer fallen, sagen Kritiker. Zwar wird in Österreich Biosprit aus Palmöl seit vergangenem Jahr nicht länger als solcher angerechnet – 2019 hatte Österreich noch 37.000 Tonnen Kraftstoff aus Palmölbasis importiert –, trotzdem ist Biosprit laut Kritikern meist nicht nachhaltig oder CO2-neutral.

Flächenfraß

Zu diesem Ergebnis kommt auch eine kürzlich erschienene Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe, die Biosprit in Deutschland unter die Lupe nahm. Demnach könnte Deutschland doppelt so viele CO2-Emissionen einsparen, wenn es komplett auf die Verwendung von Biosprit verzichten würde.

Der Grund: Rechne man auch die Biosprit-Importe des Landes hinzu, müssen 12.000 Quadratkilometer – ungefähr die Größe Tirols – an landwirtschaftlicher Fläche herhalten, um Getreide oder andere Pflanzen für Treibstoff anzubauen. Diese Fläche stehe weder für die Lebensmittelproduktion noch für eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt zur Verfügung. Auch CO2 speichern die ausgelaugten Böden im Vergleich zu Wäldern kaum. Würde man diese Fläche der Natur überlassen oder sie gezielt renaturieren, sei dem Klimaschutz weit mehr gedient als durch den Einsatz von Biosprit, heißt es von den Studienautoren – und das, obwohl statt Biosprit wieder mehr Diesel und Benzin verwendet würden.

Selbst Solarstrom aus Freiflächenphotovoltaikanlagen zu gewinnen sei laut Studie 34-mal flächeneffizienter. Würden die Kilometer im Verkehr statt mit Biosprit-betriebenen Autos mit Solarstrom-betriebenen E-Autos zurückgelegt werden, würde das die dafür notwendige Fläche um 97 Prozent reduzieren. Das Fazit der Forscher: Auf Biosprit zu setzen sei eine "fundamentale Fehlkalkulation" und eine "Scheinlösung" für den Klimawandel.

Beimischung aussetzen

Nicht zuletzt stehen bestimmte landwirtschaftliche Flächen aufgrund der Erzeugung von Biosprit nicht für die Lebensmittelproduktion zur Verfügung, sagen einige Kritiker. Biosprit heize somit die globalen Lebensmittelpreise an und könne zu weiteren Versorgungsengpässen führen.

Einige Agrarökonomen fordern angesichts des Krieges in der Ukraine deshalb, die Beimischung von Biosprit zu reduzieren oder auszusetzen. Doch dafür liegt der Ball teilweise auch bei der EU: Denn diese gibt den Mitgliedsstaaten mit der Erneuerbaren-Energie-Richtlinie Quoten für den Einsatz erneuerbarer Energien im Verkehr vor. Laut der österreichischen Kraftstoffverordnung müssen 6,3 Prozent der Dieselkraftstoffe durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Weil Autos aber nach wie vor beliebt und E-Autos noch die Minderheit sind, werden diese Vorgaben bisher vor allem durch Biokraftstoffe erfüllt.

Großteils abfallbasierte Stoffe

Bei der Wirtschaftskammer kann man die Kritik an Biosprit – zumindest in Österreich – nicht nachvollziehen. Es werden in Österreich 68 Prozent abfallbasierte Stoffe, darunter etwa Altspeiseöl, für die Biodieselproduktion verwendet, sagt Reinhard Thayer vom Fachverband der chemischen Industrie auf STANDARD-Anfrage. Damit sei Österreich "europaweiter Spitzenreiter". Die pflanzlichen und tierischen Öle und Fette für den Biosprit würden keinen Hauptteil der menschlichen Ernährung darstellen.

Statt einer Gefährdung der Versorgungssicherheit von Lebensmitteln sieht Thayer eine Gefährdung der Versorgungssicherheit von Kraftstoffen. Biosprit könne dazu beitragen, den Mangel an Treibstoffen in einigen Ländern auszugleichen – und soll wohl nicht zuletzt auch den aktuell besonders hohen Spritpreisen zumindest teilweise entgegenwirken. Solange die E-Mobilität zögerlich ist, sei Biosprit ein "wesentlicher Teil zur Treibhausgaseinsparung im Verkehrssektor", sagt Thayer.

Futtermittel als Begleitprodukt

Laut Franz Sinabell, Agrarökonom des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), macht die Produktion von Biosprit in der EU im Vergleich zu den USA nicht die Welt aus. Trotzdem sei es auch in Europa eine "nennenswerte Menge", die produziert werde. Da jedoch bei der Biodieselproduktion auch Futtermittel wie etwa Schrot als Begleitprodukt abfallen, komme sie der Lebensmittelproduktion an anderer Stelle wieder zugute.

Nicht zuletzt werde immer öfter in der EU auch sogenannter Biosprit der zweiten Generation produziert. Dafür werden beispielsweise landwirtschaftliche Abfälle und Reste oder Pflanzen, die nicht für die Ernährung bestimmt sind und auf Böden wachsen, die für die Lebensmittelerzeugung unbrauchbar sind, für die Erzeugung von Biosprit genutzt. "Sie stehen damit nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion", sagt Sinabell.

Tank, Teller oder Trog

"Aktuell stellt sich die Frage, ob und wie die Nahrungsmittelversorgung in der EU infolge des Krieges ausgeweitet werden muss oder kann", sagt Jochen Kantelhardt, Agrarwissenschafter an der Boku in Wien, zum STANDARD. Das sei auch eine Abwägung zwischen "Tank, Teller oder Trog". Es könne durchaus sein, dass dabei Tank oder Trog teilweise infrage gestellt und beispielsweise die Fleischproduktion und der Fleischkonsum reduziert werden müssten, sagt Kantelhardt.

Langfristig führt an einer Wende hin zu ökologischer Landwirtschaft und einem nachhaltigeren Verkehr – mehr E-Autos, aber insgesamt weniger Autos und stattdessen mehr und bessere öffentliche Verkehrsmittel – laut Experten kaum ein Weg vorbei. Gemeinsam mit fortschrittlicheren Biosprit-Anlagen ließen sich so vielleicht wirklich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: CO2-Emissionen senken und hochwertige und genug Lebensmittel produzieren. (Jakob Pallinger, 22.3.2022)