Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verteidigte die Corona-Lockerungen.

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Berlin – Ungeachtet immer neuer Höchststände bei den Infektionszahlen ist der Weg für ein Ende der meisten bundesweiten Corona-Beschränkungen in Deutschland frei. Der Bundesrat ließ am Freitag unter offenem Protest ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz passieren, das deutlich weniger allgemeine Schutzregeln im Alltag ermöglicht. Bei den Beratungen wurde erneut schwerwiegende Kritik an den Plänen und am Vorgehen der Rergierung laut.

Übergangsfrist

Die neue Rechtsgrundlage soll ab Sonntag gelten, weil die jetzige am Samstag ausläuft. Zur Pandemiekontrolle möglich sind den Ländern damit noch wenige allgemeine Vorgaben zu Masken und Tests in Einrichtungen für gefährdete Gruppen wie Kliniken und Pflegeheimen. In Bussen und Bahnen soll weiterhin Maskenpflicht gelten können.

Für regionale Hotspots sollen aber weitergehende Beschränkungen möglich sein, wenn das Landesparlament für diese eine besonders kritische Corona-Lage feststellt. Alle Länder wollen zunächst noch eine vorgesehene Übergangsfrist nutzen und aktuell geltende Schutzregeln bis längstens 2. April aufrechterhalten.

Schlagabtausch

Im Bundestag stimmten 388 Abgeordnete für die Neuregelungen, 277 lehnten sie ab, zwei enthielten sich. Nach einem heftigen Schlagabtausch hatten in zweiter Lesung SPD, FDP und Grüne dafür gestimmt, alle anderen dagegen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verteidigte erneut die künftigen Regeln. Es handle sich um einen "schweren Kompromiss". Man müsse aber die rechtliche Lage beachten. Durch die aktuelle Omikron-Variante sei eine flächendeckende Kliniküberlastung nicht mehr zu befürchten.

Im Bundesrat beklagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier das Vorgehen des Bundes und die Regelungen in der Sache. "Das Verfahren ist unsäglich und schlichtweg unwürdig", sagte der CDU-Politiker. Es habe keine Abstimmung mit den Ländern gegeben, die Bundesregierung habe das nicht gewollt. Lauterbach fürchte öffentlich Schlimmstes und lege gleichzeitig so ein Lockerungsgesetz vor. Das untergrabe die Akzeptanz. Zudem gebe es keine klaren Kriterien zur Definition eines Hotspots. Bereits in der Runde von Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Ministerpräsidenten und -präsidentinnen am Donnerstag war breite Empörung laut geworden.

FDP: "Schritt Richtung Normalität"

Die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus sagte, die Neuregelungen seien "ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität, aber bei gleichzeitiger Handlungsfähigkeit". Die Situation sei nun eine andere als vor zwei Jahren. Trotz "riesiger Inzidenzen" gebe es weniger Fälle auf den Intensivstationen.

Die Grünen machten erneut Unzufriedenheit deutlich. Es sei kein Geheimnis, dass sie sich mehr gewünscht hätten, sagte die Fachpolitikerin Kirsten Kappert-Gonther. Auf die Länder komme nun eine große Verantwortung zu, die vorgesehene Übergangsfrist und Regelungen für Hotspots zu nutzen. "Wenn die neuen Maßnahmen nicht ausreichen werden, müssen wir nachsteuern."

Die Union kritisierte die Neuregelungen scharf. Sie erzeugten ein Wirrwarr, sagte der CDU-Fachpolitiker Tino Sorge. Die Koalition habe nicht geklärt, wann genau eine Kliniküberlastung drohe. Diese ist das von der Regierung vorgesehene hauptsächliche Kriterium dafür, dass die Länder selbst für Hotspots weitere Maßnahmen beschließen können.

Kritik aus Bundesländern

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bescheinigt Scholz indirekt einen Wortbruch bei der Corona-Politik. Der Kanzler habe ausdrücklich zugesichert, eine Zusammenarbeit mit den Ländern beim neu gefassten Infektionsschutzgesetz sei selbstverständlich, sagte Ramelow am Freitag. Dann aber habe es keine Beteiligung der Länder gegeben. Das Gesetz sei "ohne unser Fachwissen" geändert worden.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verschärfte seine Kritik an der Regierung. "Das Virus breitet sich aus wie ein Flächenbrand. Aber statt mit schwerem Gerät und Löschflugzeugen sollen wir das Feuer jetzt mit Wassereimern und Gartenschläuchen bekämpfen", hieß es in einer Erklärung.

Die Virusausbreitung beschleunigte sich erneut. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg laut Robert-Koch-Institut auf den Höchststand von 1.706,3. Die Gesundheitsämter meldeten 297.845 neue Fälle und 226 Todesfälle. Die Zahl der in Krankenhäusern behandelten Corona-Infizierten je 100.000 Einwohner in sieben Tagen gab das Institut mit 7,58 an (Mittwoch: 7,45). (APA, 18.3.2022)