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Mit Kermit, dem Frosch, wird das Leben in der Sporthalle einer Volksschule etwas leichter: Przemyśl im Osten Polens gleich hinter der Grenze zur Ukraine ist ein Hotspot für Flüchtlinge.

Foto: Reuters / Fabrizio Bensch

Die Flucht der Menschen aus der Ukraine hielt das Wochenende über unvermindert stark an. Nach einer Mitteilung des Uno-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR haben seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar bereits zehn Millionen Menschen ihre Heimat verlassen, sind in andere Orte innerhalb und außerhalb der Ukraine gereist.

Das entspricht fast einem Viertel der gesamten Bevölkerung des Landes. 3,4 Millionen Vertriebene sind laut UNHCR-Chef Filippo Grandi in andere Staaten geflohen, die meisten in den EU-Raum. Neun von zehn dieser Menschen sind Frauen und Kinder. Erwachsene Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen, sie können zum Militärdienst einberufen werden.

Wie viele von den 6,5 Millionen innerhalb der Ukraine verstreuten Flüchtlinge den Weg nach Westen suchen werden, lässt sich schwer abschätzen; es hängt vom Kriegsverlauf ab, ob die Hauptstadt Kiew in größerem Ausmaß als bisher bombardiert wird.

In der EU-Kommission und im Auswärtigen Dienst der Union in Brüssel geht man davon aus, dass es nicht bei den 3,5 Millionen Vertriebenen bleiben wird, die bisher Schutz gefunden haben. Man rechnet mit fünf und mehr Millionen Menschen in absehbarer Zeit.

Polen wie Deutschland 2015

Das ist einer der Hauptgründe, warum die Dienste der Kommission mit Hochdruck daran arbeiten, Hilfszahlungen an die Aufnahmeländer aus diversen EU-Budgets rasch verfügbar zu machen. Wie vom Standard berichtet, hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anweisung gegeben, dass bei allen relevanten Budgettöpfen "maximale Flexibilität" angewendet werden soll, um die Lasten zu lindern, die derzeit ganz bei den Nationalstaaten liegt. Sie will "jeden Euro mobilisieren, um Zivilisten zu unterstützen". Mindestens zehn Milliarden Euro, in Summe am Ende aber wahrscheinlich sogar deutlich mehr, könnten auf diese Weise aufgebracht werden.

Hauptprofiteur wäre Polen. Das Land hat mit Abstand die meisten Vertriebenen aufgenommen, 1,9 Millionen bis zum Wochenende. Das ist doppelt bemerkenswert, weil die nationalkonservative Regierung in Warschau seit 2015 neben Ungarns Premier Viktor Orbán auf einen möglichst restriktiven Kurs bei der Asylpolitik gedrängt hat.

Diesmal nimmt Polen auf Basis der Massenzustromrichtlinie die Vertriebenen aus der Ukraine ohne große Bedingungen auf, mobilisiert alle staatlichen und privaten Kräfte. Das hat politisch damit zu tun, dass die Furcht vor einem aggressiven Russland bei den Polen historisch besonders stark ausgeprägt ist und viele Ukrainerinner und Ukainer seit der Befreiung 1991 vielfach Beziehungen zu Polen haben, auch als beliebte Gastarbeiter.

Zusatzgeld statt Budgetsanktionen

Die Großzügigkeit, mit der ukrainische Vertriebene aufgenommen werden, erinnert an die Rolle Deutschlands bei der Flüchtlingswelle 2015/16, als dort mehr als eine Million Migranten aus Syrien, Irak und Afghanistan aufgenommen wurden. Diese Rolle als "Musterland" zahlt sich für Polen aus. Weil die Regierung durch Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und Gängelung der Justiz seit Jahren im Streit liegt, drohte die EU bis vor kurzem, Polen Milliardenbeträge aus dem Wiederaufbaufonds zu verwehren.

Nun läuft es umgekehrt: Polen könnte für Vertriebenenhilfe Milliardenbeträge bekommen. Allein Überträge in Kohäsionsfonds der Budgetperiode 2014 bis 2020 machten für alle EU-Staaten bis Ende 2022 neun Milliarden Euro aus. Aus internen Papieren geht hervor, dass Polen aus eigenem Antrieb 1,6 Milliarden Euro umwidmen könnte: für Quartiere, medizinische Betreuung, Nahrung und Kleidung, Bildung und Ausbildung. 123 Millionen Euro kann Warschau unter dem Titel "Innere Sicherheit" verwenden. Aus dem Programm React-EU von 2022 hat das Land bisher 268 Millionen Euro zugesprochen bekommen, die es für Flüchtlinge verwenden kann. Polen könnte sich durch konstruktives Verhalten rehabilitieren, heißt es. (Thomas Mayer, 20.3.2022)