Österreich, wie es zwischen wogenden Dirndl-Ausschnitten und katholischer Kirche leibt und lebt: typische Charaktere des 2016 verstorbenen Zeichners Manfred Deix.

Pandora Film

"Manfred Deix trifft als Scharfschütze so gut wie Wilhelm Tell in seiner besten Zeit", sagte Billy Wilder, der sich in den 1980er-Jahren gern österreichische Magazine in die USA schicken ließ. Aus seiner Hochachtung für Deix spricht auch die Erleichterung des NS-Vertriebenen darüber, dass sein Geburtsland trotz allem immer wieder scharfe Gesellschaftskritiker hervorbrachte, die gegen die Nachkriegsgemütlichkeit, die Opferthese, die Waldheims, Haiders und viele andere anzeichneten.

Filmladen Filmverleih

Zum Höhepunkt seines Erfolgs war Deix ein ausnehmend österreichischer Strizzi, was ihn noch populärer machte. Nach internationalem Ruhm, einem Lungeninfarkt und einer Entzugskur war es dann 2013 so weit: Ein Deix-Film ging in Planung.

An der Konzeption des Stoffs über seine Teenagerjahre in den 1960er-Jahren im niederösterreichischen Böheimkirchen war der selbsternannte "Triebzeichner" noch beteiligt, doch da es sich um das erste abendfüllende Animationsprojekt Österreichs handelte, dauerte die Entwicklung. Dann verstarb 2016 der "Artdirector" Deix, und Corona legte ab 2020 die Filmszene lahm, weshalb "Rotzbub – der Deix Film" erst jetzt, fast zehn Jahre nach der ersten Förderzusage, in die Kinos kommt.

Internationales Team

Für den "Rotzbub", oder wie er auf dem deutschen Markt plakativ heißt: "Willkommen in Siegheilkirchen", wurde internationale Unterstützung ins Land geholt. Regie führten der bayerische Regisseur Marcus H. Rosenmüller ("Wer früher stirbt ist länger tot") und der spanische Animationsfilmkünstler Santiago López Jover. Für Rosenmüller dürfte der Kulturschock angesichts der "Deix-Figuren" nicht so groß gewesen sein wie für Jover, den katholischen Familienvater aus Spanien.

Dennoch sprang Jover als Animationsdirektor ein und arbeitete mit dem ersten österreichischen Langfilmanimationsteam daran, den Deix-Kosmos in seiner ganzen Leibespracht computeranimiert und dreidimensional in Bewegung zu versetzen.

Der titelgebende Rotzbub im Film ist etwas mehr Rosenmüller-Lauser als Deix-Rotzbua. Er ist schüchtern, hilft seinem Vater, einem Kriegsinvaliden, im Dorfgasthaus, langweilt sich im Religionsunterricht, spechtelt der großbusigen Fleischhauergehilfin hinterher und fängt schließlich an zu zeichnen, was er hinter ihrem tiefausgeschnittenen Dirndl vermutet. Die daraus entstehenden "Tuttl-Bilder" verhökern seine Schulkollegen Wimmerl und Grasberger geschäftstüchtig ans ganze Dorf.

Verlieben tut sich der Rotzbua aber in das schmale Roma-Mädel Mariolina, das mit seiner turmfrisierten Mutter im Dorf Teppiche verkauft. Sehr zum Unmut der Stammgäste des Gasthauses, die im Suff gern von der guten strammen Zeit palavern. Auch der Kunstmaler-Onkel, der das allzu plakative Hakenkreuz am Rathaus überpinseln soll, ist ein Brauner. Die Roma-Siedlung ist ihnen ein Dorn im Auge, weshalb der Rotzbub alles in seiner Macht Stehende tut, um es der Dorfgemeinde heimzuzahlen.

Die Grauslichkeiten halten sich für hierzulande Sozialisierte in Grenzen, denn die Produktion zielt auf ein internationales und vor allem jüngeres Publikum ab, nicht nur auf die hartgesottenen Deix-Fans.

Prominente Stimmen

Eine Attraktion ist neben dem atmosphärischen Mid-Sixties-Soundtrack die Synchronisierung: Markus Freistätter betont die schüchterne Seite des Rotzbuben, seine Angebetete Mariolina (Deix’ Ehefrau Marietta nachmodelliert) wird frech von Gerti Drassl gesprochen. Deren verruchte Mutter ist Adele Neuhauser, Wolfgang Böck alias Trautmann verleiht dem bösen Onkel sein Timbre. Roland Düringer vertont unverkennbar den netten Wirt Poldi, der mit seinem Espresso Jessy einen Fluchtort bietet, und sogar Maurice Ernst, Frontman der Band Bilderbuch, hat eine kleinere Sprechrolle in der langen Liste prominenter Stimmen.

In den Animationen steckt viel Liebe, bisweilen sind sie richtig gut – etwa wenn der Rotzbua verliebt zur Filmmusik durch den Ort schwebt. Aber durch CGI- und 3D-Effekte büßt der Film etwas an der aquarellierten Finesse der Deix-Bilder ein. Hätte es also 3D sein müssen?

Bisweilen wird der Film jedenfalls nur zweidimensional vorgeführt. In die Kinogeschichte wird der Deix-Film als erster (und hoffentlich nicht letzter!) österreichischer Animationsspielfilm auf jeden Fall eingehen. Nicht nur wegen der unverwechselbaren Figuren, sondern auch, weil er eine bissige und unterhaltsame Milieustudie österreichisch-bajuwarischer Provenienz liefert. (Valerie Dirk, 22.3.2022)