Diese Motomami weiß schon, was sie tut.

Foto: Sony Music

Man kann auf dem Motomami-Albumcover Rosalía als eine nur mit einem Motorradhelm bekleidete Frau sehen, oder man erblickt dort Kunstgeschichte. Erstens nimmt die katalanische Alternative-Pop-Aufsteigerin die Pose von Botticellis berühmter Muschel-Venus ein, zweitens ziert ihren rechten Oberschenkel ein kunsthistorisch wertvolles Tattoo.

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Es ist der gleiche Strumpfhalter, den sich die österreichische Ausnahmekünstlerin Valie Export 1970 bei einer Live-Performance hat stechen lassen. Das Tattoo sieht zwar erotisch und sexy aus, aber es steht für die Unterdrückung der Frau durch das Patriarchat.

Sinnlichkeit und Feminismus, Oberfläche und Tiefgang, Schein und Sein spielen auch auf der zum Cover gehörigen Musik tragende Rollen. Während es auf Rosalías fabelhaftem Vorgänger El Mal Querer (2018) noch um das "böse Verlangen" nach Männern, ihrer Liebe und Bestätigung ging, beschäftigt sich die Musikerin nun vor allem mit sich selbst: "Yo soy muy mía, yo me transformo" – Ich bin ich selbst, indem ich mich transformiere.

RosaliaVEVO

Rosalía, die im spanischsprachigen Raum schon seit ihrem ersten Album eine größere Nummer war, wurde mit ihrem Zweitling, El Mal Querer, der Flamenco zukunftsfit machte und ihr einen Grammy einbrachte, zum Weltstar und Kritikerliebling. Kollaborationen mit Travis Scott, James Blake und Billie Eilish, aber auch mit Experimentalgrößen wie Oneohtrix Point Never und Arca folgten.

Normalerweise lassen Künstlerinnen und Künstler auf ein Album, das ihnen solche Türen öffnete, etwas folgen, das ihren Status konsolidiert. Etwas Sicheres, Mainstreamtaugliches. Als im November mit La Fama die Leadsingle des Albums Motomami erschien, sah es auch genau danach aus. Die Kollaboration mit Superstar The Weeknd, eine ganz nette, aber uninspirierte Bachata-Nummer über die Schattenseiten des Ruhms, ließ nicht gerade große Hoffnung aufkommen, dass die 28-Jährige sich auf ihrem neuen Werk weit aus dem Fenster lehnen würde.

Rabiater Fahrstil

Auch die darauf folgenden Singles, die Reggaeton-Nummern Saoko und Chicken Teriyaki, wirkten beim ersten Hören eher nach banaler Arschwackelmusik, die für wenige Sekunden in Tiktok-Videos gut funktioniert. Nun liegt aber das Album in seiner Gesamtheit vor, und es ergibt sich ein anderes Bild. Genauso wie auf das Albumcover sollte man genauer hinschauen beziehungsweise hinhören.

RosaliaVEVO

In das bereits erwähnte Saoko, das dem Reggaeton-Klassiker von Daddy Yankee und Wisin huldigt, schleicht sich auf einmal ein kurzer Free-Jazz-Teil, in Hentai singt Rosalía so süß und zauberhaft über Klavier und Streicher, dass man den herrlich versauten Text ganz vergessen könnte, CUUUUuuuuuute spielt sich im verstörenden Feld der Deconstructed Club Music ab, kein Genre, dem man Gefälligkeit vorwerfen kann.

Rosalías ständige musikalische Transformationen gehen immer mit Störungen einher, ein Genre pro Song reicht ihr lange nicht, das Zarte braucht Verzerrung. Ganz bewusst fährt sie auf ihrem Motorrad Songs, die eigentlich schön sein könnten, gezielt an die Wand.

Nun ist das aus Hörerinnenperspektive nicht immer befriedigend. Je mehr man sich aber in die Songs reingräbt, den verwendeten Samples und Zitaten nachspürt, desto mehr lässt sich darin entdecken.

So wird man dann doch noch gerne zum Beifahrer von jemandem, dessen Fahrstil einem zuerst etwas zu rabiat erschien. Diese Motomami weiß schon, was sie tut. (Amira Ben Saoud, 23.3.2022)