Die weltweite Erfassung der Biodiversität braucht menschliches Wissen und Technik. Vögel wie der Waldhäherling werden anhand von Frequenzbildern ihrer Gesänge identifiziert.

Foto: Petteri Lehikoinen

Seit 2017 werden im Sammlungs- und Forschungszentrum in Hall in Tirol Kunst- und Kulturschätze, naturwissenschaftliche Objekte und die größte Schmetterlingssammlung der Alpen aufbewahrt. Rund um das Gebäude ließ der Leiter der naturwissenschaftlichen Sammlung, Peter Huemer, eine artenreiche Blumenwiese anlegen, die Insekten und Vögeln Nahrung bietet und darüber hinaus seit dem Frühjahr 2021 auch als Forschungslabor dient.

Neben einer Malaise-Falle, in der Fluginsekten gesammelt werden, gibt es eine Wildkamera und ein Mikrofon, um Bilder und Töne von Lebewesen aufzunehmen. Auf dem Dach des Zentrums wurde ein Cyclon-Sampler montiert, mit dem Pilzsporen und Pollen eingefangen werden können. Die Station ist Teil des internationalen Projekts Lifeplan, mit dem Daten über die globale Biodiversität gesammelt werden.

Weltweite Inventur

Die biologische Vielfalt der Erde schwindet, während es für die große Mehrheit der Arten noch keine oder nur sehr wenige Daten gibt und zu wenig über die komplexen Prozesse der Biodiversität bekannt ist. So sind etwa 80 Prozent aller Arten noch nicht wissenschaftlich beschrieben, von den bekannten Arten sind zum Teil nur lückenhafte Informationen über ihre Verbreitungsgebiete vorhanden.

Wer Vögel nicht nur am Aussehen sondern auch der Stimme erkennt, kann einen wertvollen Beitrag zum Projekt Lifeplan leisten. Im Bild der fast unverkennbare Eisvogel.
Foto: Imago/Beautiful Sports

Das Projekt Lifeplan, das von der Universität Helsinki initiiert wurde und von dieser geleitet wird, möchte hier Abhilfe schaffen und das Wissen über die globale Artenvielfalt erweitern. Für einen großen Teil aller Arten sollen mit halbautomatischen Methoden gut Standardisierte globale Basisdaten und die Einflüsse von Urbanisierung und Klimawandel ermittelt werden.

Ziel ist die Entwicklung globaler Artenverteilungsmodelle, die die räumlich-zeitliche Struktur des Lebens auf der Erde beschreiben. An weltweit 100 Standorten – mit dichteren Stichproben in den nordeuropäischen Ländern und in Madagaskar – werden jeweils an einer naturnahen und einer urbanen Messstation mit verschiedenen Methoden Daten erhoben.

Genetischer Fingerabdruck

Österreich ist mit sechs Standorten daran beteiligt: In Tirol sind sie in Hall im urbanen Raum und im Naturpark Karwendel, in Wien im Botanischen Garten sowie im naturnahen Lainzer Tiergarten und in Oberösterreich im urbanen Raum in Molln und die Forschungsstation Zöbelboden im Nationalpark Kalkalpen.

Um die Vielzahl an globalen Daten verarbeiten zu können, hat das Lifeplan-Team der Universität Helsinki das Konzept mit den verschiedenen Messeinrichtungen entwickelt. Die Proben werden an ein Speziallabor in Guelph in Kanada geschickt, wo sie anhand eines genetischen Fingerprints entschlüsselt und über bereits bestehende Referenzdatenbanken einer Art zugeordnet werden – sofern diese bereits in den Datenbanken existiert.

Die Universität von Helsinki koordiniert das Projekt Lifeplan und sucht dafür Hobby-Ornithologinnen und -Ornithologen, die etwa den hier im Bild zu sehenden Drosselrohrsänger erkennen.
Foto: Imago/STAR-MEDIA

Wenn nicht, wird der DNA-Barcode aufgenommen und zu einem späteren Zeitpunkt entschlüsselt. Die Bild- und Tonaufnahmen werden wöchentlich nach Helsinki übertragen, dort ausgewertet und alle Daten zusammen später miteinander verknüpft. Das Projekt wird über fünf Jahre von Lifeplan finanziert. Die teilnehmenden Forschungseinrichtungen und Organisationen können danach mit eigener Finanzierung weiter mitwirken. In Hall wurden bereits 60 Arten von Vögeln rund um das Sammlungs- und Forschungszentrum nachgewiesen, die durch die bunte Wiese angelockt wurden.

Vogelstimmen-Wirrwarr

Am Zöbelboden, wo sich die Messstation im Waldschutzgebiet befindet, sind bisher 64 Vogelarten bekannt. Typische Vertreter der dortigen Arten sind Dreizehenspecht, Zwergschnäpper, Waldlaubsänger oder Hohltaube, berichtet der Ökologe Thomas Dirnböck vom Umweltbundesamt, der für die Langzeitbeobachtung am Zöbelboden zuständig ist.

Fachleute erkennen Vogelarten an ihren Rufen und am Aussehen. Doch kein Mensch kann sich das viele Audiomaterial anhören, das im Zuge von Lifeplan aufgenommen wird, noch dazu, wo 58 Teams an 200 Messstellen weltweit Daten für das Biodiversitätsprojekt sammeln. Petteri Lehikoinen, Ornithologe und Ökologe der Universität Helsinki, baut deshalb gemeinsam mit drei Kollegen aus dem Fachbereich Zoologie und einer IT-Expertin des finnischen Museums für Naturgeschichte eine Referenzbibliothek zur automatischen Erkennung von Vogelstimmen auf.

Ein Bewohner alpiner Regionen ist die Alpenbraunelle. Ihr Gesang besteht aus zwitschernden und trillernden Tonelementen.
Foto: Imago/blickwinkel

Nicht Menschen, sondern Algorithmen sollen sich die tausenden Stunden Vogelrufe "anhören". Die Algorithmen müssen dafür aber trainiert werden, und zwar mit einer Datenbank mit geprüften Klangmerkmalen aller rund 10.000 Vogelarten der Welt. Die Audiodaten dafür stammen aus dem weltweit größten Archiv mit Bildern und Tönen von Tieren: der Macaulay Library des Cornell Lab of Ornithology.

Algorithmus und Mensch

Da auf Aufnahmen von Vogelstimmen zumeist verschiedene Vögel und Nebengeräusche zu hören sind, müssen zuerst Menschen anhand des Frequenzbildes typische Abschnitte der Tonaufnahme auswählen. An dieser Aufgabe können sich im Citizen-Science-Projekt Bird Sounds Global nun kundige Vogelbeobachterinnen und -beobachter beteiligen.

Wer Vorlagen für mindestens 100 Arten erstellt und die Vorlagen für weitere 100 Arten validiert hat, wird sogar als Co-Autor für die geplante Veröffentlichung der Ergebnisse in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift genannt. Und nicht nur das: Die automatische Vogelstimmen-Erkennung wird am Ende des Projekts sehr hilfreich sein für die automatische Analyse der Aufnahmen der Lifeplan-Stationen.

Wer beim Forschungsprojekt mithelfen möchte, kann sich online bei Bird Sounds Global anmelden. (Sonja Bettel, 23.3.2022)