Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bereits vor dem US-Kongress, dem Europaparlament, dem deutschen Bundestag und der Knesset gesprochen. Österreich kneift.

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Es ist irritierend, wie die SPÖ hier herumeiert. In der Frage, ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zum österreichischen Nationalrat sprechen soll und darf, will sich die SPÖ nicht festlegen: Das soll der Nationalratspräsident entscheiden, sie wird dann nichts dagegen haben, lässt Jörg Leichtfried, der Vizeklubchef, ausrichten.

Was das mit Parteichefin Pamela Rendi-Wagner zu tun hat? Es hat etwas mit Entschlossenheit und Haltung zu tun. Das vermisst man bei der SPÖ. Rendi-Wagner verbarrikadiert sich in der Parteizentrale, bereitet sich auf ihre Kanzlerinnen-Rede vor, die sie am Sonntag halten will. Die kann sie gleich ergänzen: Wie kann es sein, dass sich die SPÖ-Chefin, die auch außenpolitische Sprecherin ihrer Partei ist, um eine klare Entscheidung, um eine eindeutige Position drückt? Soll Selenskyj vor dem österreichischen Parlament sprechen? Da kann es nur eine klare Antwort geben: ja, natürlich. Kein Wenn und kein Aber.

Es ist feige, sich hinter Geschäftsordnungsdetails zu verstecken und die Neutralität zu bemühen. Von der FPÖ hat man nichts anderes erwartet. Aber sie hat eine klare Position: Sie setzt Selenskyj mit dem russischen Aggressor Wladimir Putin gleich und will beide nicht im Parlament sehen. Die SPÖ bangt recht vage um die Neutralität und verschanzt sich hinter Formalismen.

Auf die Neutralität braucht sich hier keiner berufen. Österreich ist nicht neutral, nicht in dieser Frage. Das haben auch der Bundespräsident und der Bundeskanzler klar festgehalten: Wir stehen an der Seite der Ukraine, wir sehen Putin als Aggressor, wir verurteilen diesen Angriffskrieg. Wir beteiligen uns an den Sanktionen. Was uns die im Staatsvertrag festgeschriebene Neutralität gebietet: Wir beteiligen uns nicht an Kampfhandlungen, wir liefern kein Kriegsmaterial. Aber neutral sind wir nicht, wollen wir auch nicht sein. Wenn derart das Völkerrecht verletzt und Unrecht verübt wird, dann gilt es, wenigstens klar Position zu beziehen.

Starkes Zeichen

Es ist nicht egal, ob Selenskyj zum österreichischen Parlament spricht oder nicht. Es wird zwar den Lauf des Weltgeschehens nicht verändern, es wird auch keinen Einfluss auf den Krieg haben. Aber es wäre ein starkes Zeichen. Österreich könnte signalisieren: Wir sind solidarisch, wir zeigen Anteilnahme. Wir helfen, wo wir können. Wir verurteilen das Vorgehen Russlands. Es ist wichtig, das zu sagen: Wir sind in dieser Frage nicht neutral.

Klar, es ist erwartbar, was Selenskyj sagen würde. Aber wir würden das gerne hören. Der Nationalrat sollte den ukrainischen Präsidenten einladen, als Zeichen der Wertschätzung und der moralischen Unterstützung.

Das wäre auch für uns als Österreicher ein starkes Zeichen. Eine solche Einladung wäre wichtig für unser Selbstverständnis und unser Selbstvertrauen: Wir verstecken uns nicht hinter der Neutralität, wie setzen uns keine Tarnkappe auf, wir leben unsere Neutralität und passen sie der Wirklichkeit an.

So weit ist die SPÖ offenbar noch nicht. Sie macht aus der Debatte über die Neutralität eine Posse, vertieft sich in Klein-Klein und verheddert sich in den Fallstricken einer unnötigen Geschäftsordnungsdebatte. Der Zeitpunkt, zu dem das hochkocht, kommt für Rendi-Wagner höchst ungelegen. Am Sonntag will sie rhetorisch den Beweis antreten, dass sie Kanzlerin kann. Stattdessen nährt sie als Parteichefin die Zweifel daran. (Michael Völker, 23.3.2022)