Bild nicht mehr verfügbar.

Bisher sind bei der MA 35, die für die Verfahren zuständig ist, rund 22.000 Gesuche eingegangen.

Foto: Ernst Weingartner / picturedesk.

Der Nationalrat hat am Mittwoch das Recht für Nachkommen von NS-Opfern, die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen, einstimmig erweitert. In bestimmten Fällen bleiben Doppelstaatsbürgerschaften aber weiterhin ausgeschlossen.

Der Nationalrat hatte 2019 die Möglichkeit geschaffen, dass Nachkommen von NS-Verfolgten die Staatsbürgerschaft unter erleichterten Bedingungen erwerben können. Bei der Gesetzesänderung hat man aber versehentlich vergessen, Personen, deren Vorfahren ermordet oder deportiert wurden, in den Gesetzeswortlaut aufzunehmen. Die aktuelle Änderung bessert nun nach.

Betroffene können die österreichische Staatsbürgerschaft durch einfache Anzeige erlangen und dabei ihre bisherige Staatsbürgerschaft behalten. Eine Doppelstaatsbürgerschaft ist – entgegen der Normalregel im österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht – also erlaubt. Laut Gesetz gibt es aber eine Ausnahme: Wer ursprünglich eine österreichische Staatsbürgerschaft hatte und davon wusste, sie aber durch die Annahme einer anderen verliert, kann künftig nicht mehr zurück zur österreichischen.

Höchstgerichtliche Entscheidung

Erst kürzlich hat der Verwaltungsgerichtshof in einem ähnlich gelagerten Fall anders entschieden (DER STANDARD berichtete): Ein Mann, dessen Großvater im Jahr 1939 vor den Nationalsozialisten ins heutige Israel fliehen musste, wollte neben seiner österreichischen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft annehmen. Da Doppelstaatsbürgerschaften in Österreich grundsätzlich nicht erlaubt sind, stellte er den Antrag, die österreichische ausnahmsweise behalten zu dürfen.

Die Wiener Landesregierung und das Verwaltungsgericht Wien lehnten ab; erst der Verwaltungsgerichtshof gab dem Mann in letzter Instanz Recht. Laut den Höchstrichterinnen und Höchstrichtern muss die Regelung, dass Nachkommen von NS-Verfolgten ein Recht auf eine Doppelstaatsbürgerschaft haben, auch für den umgekehrten Fall gelten, dass jemand bereits die österreichische Staatsbürgerschaft hat und zusätzlich eine andere Staatsbürgerschaft annehmen will.

Die Abgeordnete Eva Blimlinger (Grüne) machte am Mittwoch im Nationalrat deutlich, dass das in dieser Fallkonstellation auch künftig möglich sein wird. Anderes gilt laut dem neuen Gesetz aber, wenn Menschen eine andere Nationalität angenommen und dabei ihre österreichische Staatsbürgerschaft bereits verloren haben.

"Keine Benachteiligung"

Die Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper kann das im STANDARD-Gespräch nicht nachvollziehen. Nachkommen von NS-Opfern seien häufig in Ländern aufgewachsen, in denen das Verbot von Doppelstaatsbürgerschaften nicht gilt. Es sei daher davon auszugehen, dass vielen Menschen nicht bewusst war, dass sie ihre österreichische Staatsbürgerschaft verlieren, wenn sie eine andere annehmen.

Dazu komme ein weiteres Problem: Die Behörden müssen künftig nachforschen, ob die Nachkommen früher österreichische Staatsbürger waren, was einen erheblichen Mehraufwand bedeute. Die Bestimmung "ignoriert die Lebensrealitäten der Nachkommen von NS-Opfern", sagt Krisper. "Die Höchstgerichte werden wieder beschäftigt sein."

Martin Engelberg, der auf Seiten der ÖVP für die Novelle zuständig war, sieht das anders. Bei Personen, die die österreichische Staatsbürgerschaft haben, diese aber freiwillig zurücklegen, um eine fremde Staatsangehörigkeit anzunehmen, liege kein wiedergutzumachendes Unrecht vor, das es auszugleichen gilt.

In Zukunft ist daher eine "klare Regelung für diese besonderen Fälle vorgesehen", sagt Engelberg auf STANDARD-Anfrage. Die Neuregelung gilt aus seiner Sicht zudem erst für jene Personen, "die nach Inkrafttreten der jetzigen Novelle ihre österreichische Staatsbürgerschaft zurücklegen". Daher werde keine Person, die in der Vergangenheit die österreichische Staatsbürgerschaft zurückgelegt hat und wieder beantragen will, benachteiligt.

Zahlreiche Verfahren

Zuständig für die Verleihung der Staatsbürgerschaft an NS-Opfer ist in erster Linie die MA 35. Laut Stadt Wien langten bislang knapp 22.000 Gesuche von NS-Opfern und deren Nachkommen ein. 12.000 Verfahren konnten positiv abgeschlossen werden. Die meisten Anträge stammen aus Israel, den Vereinigten Staaten und Großbritannien. (Jakob Pflügl, 24.3.2022)