Ronja Maltzahn (Mitte) wurde ihrer Frisur wegen ausgeladen. Ihre Dreadlocks seien mit "dem antikolonialistischen und antirassistischen Narrativ" von Fridays for Future nicht vereinbar.

Foto: Maltzahn

Dieser Text muss leider mit einem veteranenhaften "Früher war alles ..." beginnen. Früher konnte man nämlich gegen Rassismus sein, gegen Atomkraft, den Krieg, gegen Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen, gegen sauren Regen oder Mathe. Einfach so, wegen voller Hosen und Sorge um die Zukunft. Das reichte als Motivation. Heute braucht man dazu auch die passende Frisur. Das musste die deutsche Musikerin Ronja Maltzahn eben feststellen.

Sie hätte mit ihrer Band bei der Fridays-for-Future-Demo am Freitag in Hannover auftreten sollen, wurde aber seitens der Veranstalter kurzfristig wieder ausgeladen. Der Grund: Ihre Frisur sei ein Ausdruck kultureller Aneignung und so mit der "auf ein antikolonialistisches und antirassistisches Narrativ setzenden" Bewegung unvereinbar. Ronja Maltzahn trägt nämlich Dreadlocks. Wobei man sich ideell noch ein wenig verbog: "Solltest du dich bis Freitag dazu entscheiden, deine Dreadlocks abzuschneiden, würden wir dich natürlich auf der Demo begrüßen und spielen lassen." Einladender wurde eine Ausladung selten formuliert.

Am Pranger

Immerhin wurde Maltzahn nicht bespuckt oder körperlich attackiert, wie es auf US-amerikanischen Unis blonden Dreadlock-Trägerinnen und -Trägern schon passiert ist. Von dort kommt der Begriff "Cultural Appropriation" – kulturelle Aneignung –, und es kann handgreiflich werden, wenn man dermaßen beschuldigt am Pranger landet.

Von "kultureller Aneignung" wird meist dann gesprochen, wenn es die Kultur einer Minderheit betrifft, die man sich angeblich aneignet und die günstigerweise benachteiligt oder diskriminiert ist. Das ergibt eine unschlagbare Opfer-Täter-Dichotomie ohne störende Zwischentöne. Aufgetaucht ist das Phänomen in den 1970ern und 1980ern, heute hat es sich längst potenziert, befeuert von politischer Korrektheit, der Identitätspolitik und der toxischen Dummheit in den sogenannten sozialen Netzwerken. Alles muss heute toxisch sein, nur dann ist es echt arg.

Das Ende der Schauspielerei

In ihrer orthodoxen Ausprägung darf heute kein nichtschwuler Schauspieler einen Homosexuellen verkörpern, keine Nichtlesbe eine Lesbe, kein Nichtjude einen Juden, keine weiße Übersetzerin eine schwarze Autorin übertragen – siehe Amanda Gormans Gedicht "The Hill We Climb".

Aus einem antirassistischen Motiv erwächst so eine Art Gegenrassismus, der alte Kulturtechniken und Kulturtransfers, die Mischung aus Tradition und Einfluss, Bastardisierung und Progression unter dem Deckmantel ausgleichender sozialer Gerechtigkeit vom Tisch wischt.

Amtliche Rassistin

Dass jemand wie Ronja Maltzahn vielleicht aus Zuneigung und Begeisterung für eine Kultur ihre Haare als Dreadlocks trägt, zählt da nicht. Oder ihr Recht, das aus persönlicher Freiheit zu tun. Nein, sie ist jetzt amtlich eine Rassistin und Ausbeuterin fremder Kulturen. Zumindest für manche.

Ein derartiger Dogmatismus lädt zu Gedankenspielen ein. Demnach müssten Afroamerikaner dem Hip-Hop bitte leider ab sofort entsagen, denn sie haben weder Sampler, Plattenspieler oder Spraydose erfunden. Elvis wäre als Lkw-Fahrer in Pension gegangen, "Der Pate" wäre ein fader, viel zu langer Film geworden, weil Marlon Brando blöderweise nicht Sizilianer genug war.

Wie hat der deutsche Autor und Musiker Sven Regener einmal so schön gesagt: "Die Kultur gehört immer allen." Aber gut, was weiß der schon, der ist ja auch wieder nur ein weißer Mann, der jeden Tag um einen toxischen Tag älter wird. (Karl Fluch, 24.3.2022)