Auf 5,9 Prozent ist die Inflation im Februar geklettert.

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Wirtschaftskammerboss Harald Mahrer, eingefleischter ÖVPler, kämpft für billige Mieten. Wer hätte gedacht, dass es dazu kommt. Am vergangenen Mittwoch war es so weit, als Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Regierung anlässlich des Antiteuerungsgipfels einen gemeinsamen Forderungskatalog übergaben.

ÖGB, Arbeiterkammer, Wirtschafts-, Landwirtschaftskammer und Industriellenvereinigung wollen, dass die Regierung mehr gegen die hohe Inflation tut. Das zuletzt von der türkis-grünen Koalition präsentierte 2,1 Milliarden Euro schwere Paket, in dem unter anderem ein 400-Millionen-Euro-Zuschuss für Pendler vorgesehen ist, reiche nicht aus.

Das allein wäre nicht außergewöhnlich. Aufgabe von Kammern und Gewerkschaften ist es ja, für die Interessen ihrer Mitglieder zu lobbyieren. Aber dieses Mal springen beide Seiten über den eigenen Schatten und tragen Forderungen des jeweils anderen mit.

Auf der gemeinsamen Wunschliste findet sich etwa ein Kostenersatz für die energieintensive Industrie, die unter hohen Gaspreisen leidet. Ebenso der Ruf, die Mineralölsteuer zu senken. Aus Sicht der Arbeitnehmer wäre es billiger und effektiver, würde stattdessen die Mehrwertsteuer bei Sprit sinken. Davon würden Unternehmen nicht profitieren. Nun aber wollen sie eine Entlastung der Betriebe.

Gemeinsame Wunschliste

Im Gegenzug tragen Unternehmer den Wunsch nach einer Einmalzahlung von 500 Euro für Bezieher von Kleinstpensionen und der Mindestsicherung mit. Sie unterstützen auch die Forderung, die Erhöhung der Richtwertmieten, die im April mehr als eine Million Menschen treffen wird, um ein weiteres Jahr zu verschieben. Für die Wirtschaftskammer, die Interessenvertreter der Immobilienwirtschaft, ist das ein gewagter Schritt. Was treibt die Sozialpartner zu so viel Einigkeit?

Die Antwort ist simpel. Es ist die Teuerung. Auf 5,9 Prozent ist die Inflation im Februar geklettert. Angesichts des Ukraine-Krieges und anhaltender Probleme in globalen Lieferketten deutet nichts auf eine Entspannung hin. Je länger dieser Zustand anhält, desto stärker wird die Inflation die Lohnverhandlungen belasten. Noch hilft bei der laufenden Frühjahrslohnrunde der Papier- und Chemieindustrie, dass die Teuerung bis zum Sommer 2021 moderat war. Doch schon bei den Herbstlohnrunden könnte es bei den Verhandlungen darum gehen, Arbeitnehmer für eine Inflation von fünf bis sechs Prozent zu kompensieren.

Eine schwierige Ausgangslage. Die Arbeitnehmerseite kann kaum einen Lohnabschluss nach Hause bringen, der unter der Teuerungsrate liegt. Die Industrie wird wenig Interesse haben, Löhne um sieben oder acht Prozent anzuheben. Ein Ausweg: Der Staat nimmt Druck heraus, indem er die Wirkung der Inflation abmildert. Jede Hilfe für Mieter entlastet, so gesehen, Unternehmer bei kommenden Verhandlungen. Jeder Euro an Kompensation für teure Energie sorgt dafür, dass Betriebe leichter bei Lohnerhöhungen mitgehen können.

Ernst wird es in Runde zwei

Arbeitgeber und Arbeitnehmer beschäftigt die Aufteilung der Kosten auch aus einem weiteren Grund. Sie treibt das Gespenst einer "Lohn-Preis-Spirale" um. So bezeichnen Ökonominnen und Ökonomen eine Entwicklung, bei der Inflation ein sich selbst verstärkender Prozess wird.

Das geht so: Angetrieben durch steigende Preise, fordern Gewerkschaften höhere Löhne. Unternehmen müssen dem nachkommen. Um ihre Profite nicht zu gefährden oder die Mehrkosten tragen zu können, heben sie Preise für ihre Produkte an. Damit beginnt ein Zweitrundeneffekt: Die Preise steigen wieder, die Löhne müssten nachziehen.

Angetrieben durch steigende Preise, fordern Gewerkschaften höhere Löhne.
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Gewerkschaften fürchten die Spirale, weil Arbeitnehmer historisch oft Verlierer einer zu schnell steigenden Inflationsrate waren, wenn Löhne nicht mithalten. Unternehmer, weil Arbeitskämpfe zunehmen und nicht gesagt ist, dass sich alle Kostenerhöhungen auf Kunden überwälzen lassen. "Wenn der Staat die Teuerung abfedert, vermindert er die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale", sagt daher ein führender Sozialpartner.

Keine Entkopplung

Auch Zentralbanker, die Hüter der Preisstabilität, analysieren mit Argusaugen, ob sich in Wirtschaftsdaten irgendwo Anzeichen einer Spirale finden. Gegen höhere Energiepreise ist die Europäische Zentralbank (EZB) machtlos, sie hat keine Gasspeicher. Zweitrundeneffekte kann sie beeinflussen.

Bisher tut sich wenig in Europa. Die Statistik Austria misst, wie sich die Mindestlöhne in Kollektivverträgen entwickeln. Die jüngsten Daten von Februar zeigen, dass die Löhne in den vergangenen zwölf Monaten im Schnitt um 2,5 Prozent gestiegen sind. Auch im übrigen Europa "sehen wir bisher keine Anzeichen für eine Spirale", sagt Oliver Rakau, Ökonom beim Londoner Forschungsinstitut Oxford Economics. Laut EZB haben die Tariflöhne im Euroraum um 1,6 Prozent zugelegt. Diese Maßzahl berücksichtigt nur die Entwicklung bis Ende 2021. Ein Index des Ökonomen Rakau, der Zahlen bis Februar 2022 erfasst, zeigt ebenso, dass die Lohnerhöhungen mitunter hinter der Inflation zurückbleiben.

"Eine dauerhafte Entkoppelung der Löhne von der Inflation ist aber kaum möglich", sagt Rakau. Die Gehaltsabschlüsse werden also früher oder später anziehen, weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sonst brutale Lohnverluste erleiden würden. Wird also spätestens dann eine Spirale in Gang kommen?

War es China?

Gut möglich. Aber es lassen sich auch Argumente finden, die darauf hindeuten, dass die Angst vor inflationären Zweitrundeneffekten nicht aufgebauscht werden sollte. 2015 haben die US-Ökonomen Ekaterina Peneva und Jeremy Rudd gezeigt, dass in den 1970er-Jahren ein Zusammenhang zwischen Lohnkosten und Inflation bestand, höhere Löhne also Preise trieben. Die Inflation erreichte Ende der 1970er-Jahre mehr als 13 Prozent. Das war der Höhepunkt der Entwicklung.

Die Verbindung zwischen Löhnen und Preisen sei seitdem schwächer geworden und in den vergangenen Jahren gar nicht mehr messbar gewesen. Woran das liegt? Vor allem an China und der Globalisierung. Das ist die Antwort in einer 2021 publizierten Arbeit der Ökonomen Sebastian Heise, Fatih Karahan und Aysegül Sahin von der Fed in New York, einem regionalen Ableger der US-Notenbank und der University of Texas Austin.

Sie zeigen, dass Industriebetriebe in den USA seit der Wirtschaftskrise höhere Löhne kaum in Form höherer Preise für TV-Geräte, Kühlschränke oder Autos an Kunden weitergeben. Das liegt am gestiegenen Anteil von Warenimporten, vor allem aus China. Selbst wenn Löhne in US-Betrieben stiegen, passierte das bei Produzenten in China nicht. US-Betriebe erhöhten ihre Preise in der Folge trotz der höheren Löhne, die sie zu zahlen hatten, selbst nicht.

Warum? Sie wollten keine Marktanteile an billigere Konkurrenz verlieren. Möglich war das, weil nach dem Markteintritt der chinesischen Mitbewerber eine Marktbereinigung bei US-Produzenten stattfand. Große US-Konzerne, die sehr profitabel waren, blieben übrig. Sie konnten es sich leisten, die Lohnerhöhungen zu schlucken.

Hilft ein solcher Effekt auch anderen Ländern? 1976 lag der Anteil importierter Güter und Dienstleistungen in Österreich nur bei 32 Prozent der Wirtschaftsleistung. Heute sind es 49 Prozent. Darüber, wie sehr die Preise steigen, entscheiden also nicht mehr nur Löhne in Österreich.

In China ist die Inflationsentwicklung gedämpfter als in Europa. Die Teuerung liegt bei unter einem Prozent. "Ausgehend von jüngsten empirischen Belegen ist es schwer zu argumentieren, dass es zu einer echten Lohn-Preis-Spirale kommen wird", sagt Jesús Crespo Cuaresma von der Wirtschaftsuni Wien.

Zeit der Rekordgewinne

Aber es gibt Gegenargumente. Seinen Außenhandel treibt Österreich vor allem mit EU-Ländern, in denen die Inflation gestiegen ist. "Die internationale Seite entlastet dieses Mal eher nicht, weil überall weltweit die Preise steigen und auch andernorts zu höheren Lohnforderungen führen", sagt der deutsche Ökonom Lars Feld. Dafür gibt es aber noch andere Gründe, am Automatismus einer Spirale zu zweifeln, wie die Ökonomin Lea Steininger von der WU-Wien argumentiert.

Ohne die Entwicklung der Gewinne einzelner Branchen zu kennen, lasse sich nicht sagen, dass eine Spirale in Gang kommen könne. Ihr Beispiel: So verzeichnen derzeit Raffinerien durch den Anstieg der Ölpreise Rekordgewinne. Die Produktionskosten dieser Betriebe sind nicht gestiegen. Sie könnten Lohnerhöhungen verdauen, ohne Preise anzuheben. Unternehmen, die günstig an Kredite kommen, können zudem höhere Löhne versuchen zu kompensieren, indem sie umstrukturieren, zum Beispiel in bessere Maschinen investieren, die mehr produzieren.

Schwierig abzuschätzen ist schließlich die Frage, welche Lohnerhöhungen Gewerkschaften heute durchsetzen können. Die Zahl der organisierten Mitglieder ist überall im Westen zurückgegangen, auch in Österreich. "Das hindert Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht, höhere Gehälter in individuellen Lohnforderungen durchzusetzen", sagt Feld. Ob das reicht, um eine Spirale in Gang zu bringen? Möglich. Da sind sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch einig: Sie wollen es nicht herausfinden. (András Szigetvari, 26.3.2022)