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Wir sollten gerade jetzt von den Jungen lernen. Die fragen sich täglich – oft zum Ärger der Etablierten –, wer sie sein wollen, können, dürfen.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

In den vergangenen Wochen und Monaten hat sich eine Erkenntnis zweifelsfrei eingestellt: Wir haben viel zu verlernen. Dabei geht es um unser gewohntes gutes Leben – von der Gewissheit des Friedens bis zu immer übervollen Supermarktregalen, Fleisch wann immer, vollen Tanks nebenbei und selbstverständlich warmen Wohnungen. Sicherheiten haben sich als vermeintliche herausgestellt. So wie wir gestern gelebt haben, schaffen wir es heute und morgen nicht mehr ohne Veränderung. Das wissen wir aufgrund des spürbaren Klimawandels schon länger, sind aber kaum bereit, spürbare Veränderungen selbst vorzunehmen. "Hilft eh nichts", "Einer allein kann nichts ändern", wird da argumentiert.

Gerade so, als würde bei den großen Fragen der Menschheit eins und eins eins bleiben, statt zwei zu ergeben, wie wir das den Kindern in den Schulen beibringen. Das ist sehr bequem, es enthebt jedweder Verantwortung und Veränderungsnotwendigkeit auch auf persönlicher Ebene. Wir wollen lieber bleiben, wie wir sind, und versuchen zu behalten, was wir gewohnt sind. Fälschlicherweise wird das gerne als "Erwachsensein" tituliert.

Ausprobieren ist angesagt

Dabei sollten wir gerade jetzt von den Jungen lernen. Die fragen sich täglich – oft zum Ärger der Etablierten –, wer sie sein wollen, können, dürfen. Wie sie leben wollen. Und werfen Entwürfe und Ansichten wie in einem großen Brainstorming durcheinander. Ausprobieren ist angesagt. Ja, das geht auch gelegentlich "in die Hose". Aber das gehört zum Experimentieren dazu. Das Mögliche will gespürt werden.

Darauf sollten wir uns wieder einlassen, auf dieses Ausprobieren. Wir haben uns angelernt, jeden Bruch mit Gewohntem als Störung, als Verzicht, als Bestrafung zu qualifizieren. Aber: Wissen wir wirklich so genau, dass wir, ohne täglich mehrmals Fleisch zu essen, "unglücklicher" sind? Was passiert, wenn wir die Heizung konsequent zwei Grad runterdrehen?

Die Summe, die den Ausschlag gibt

Das sind Kleinigkeiten, stimmt. Ihre Summe wird aber den Ausschlag geben. Auch weil es dabei um viel mehr geht, nämlich um eine Öffnung von Vorstellungen, die alles verstellen und "anders" gleich von vornherein mit "schlechter" gleichsetzen. Ein möglicher Nebeneffekt vieler kleiner Experimente in Sachen Lebensstil könnte zudem immerhin sein, das erdrückende Gefühl der Ohnmacht abzuschütteln.

Ein spontanes, kindliches Fenster in unseren Köpfen würde uns allen helfen. (Karin Bauer, 28.3.2022)